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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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Schattenbilder. <strong>Die</strong> Mädchen fingen ihrerseits an, Baal in einem neuen<br />

Licht zu sehen. In der damaligen Zeit war es üblich, dass eine Hure bei<br />

Eintritt in das Berufsleben sich die Art Ehemann nahm, der sie mit<br />

Sicherheit in Ruhe ließ - einen Berg etwa oder einen Brunnen oder einen<br />

Busch -, um der Form halber den Rechtstitel einer Verheirateten<br />

beanspruchen zu können.<br />

Im »Vorhang« galt die Regel, dass die Mädchen die Liebesfontäne, die<br />

im Innenhof stand, heirateten, doch inzwischen hatte sich<br />

Unzufriedenheit angestaut, und eines Tages gingen die Prostituierten<br />

gemeinsam zur Madame, um ihr zu eröffnen, dass sie sich alle als Frauen<br />

des Propheten betrachteten und deshalb einen besseren Mann verdient<br />

hätten als einen wasserspeienden Stein, was ja geradezu frevlerisch sei;<br />

und sie alle hätten beschlossen, den Tollpatsch Baal zum Mann zu<br />

nehmen. <strong>Die</strong> Madame wollte ihnen das zuerst ausreden, aber als sie sah,<br />

dass es den Mädchen ernst war, stimmte sie zu und schickte nach dem<br />

Dichter. Unter viel Gekicher schubsten die zwölf Kurtisanen den<br />

watschelnden Schriftsteller in den Thronsaal. Als Baal von dem Plan<br />

hörte, begann sein Herz so unregelmäßig zu schlagen, dass er wankte<br />

und hinfiel, und Aischa schrie entsetzt auf: »Mein Gott, wir werden<br />

Witwen sein, noch ehe wir verheiratet sind!«<br />

Doch er erholte sich: sein Herz fand in seinen alten Rhythmus zurück.<br />

Und da Baal keine andere Wahl blieb, nahm er den zwölffachen<br />

Heiratsantrag an. Daraufhin traute die Madame persönlich alle zwölf<br />

Mädchen, und in dieser Lasterhöhle, dieser Antimoschee, diesem<br />

Labyrinth der Gottlosigkeit wurde Baal mit den Frauen des ehemaligen<br />

Geschäftsmanns Mahound vermählt.<br />

Seine Frauen machten ihm nun klar, dass er seine ehelichen Pflichten in<br />

jeder Hinsicht zu erfüllen habe, und arbeiteten einen Rotationsplan aus,<br />

demzufolge er mit jedem Mädchen reihum einen Tag verbringen konnte<br />

(im »Vorhang« ging es umgekehrt zu: die Nacht war für die Arbeit da,<br />

der Tag für die Ruhe). Kaum hatte Baal mit diesem strapaziösen<br />

Programm begonnen, da beriefen sie auch schon eine Konferenz ein, auf<br />

der ihm bedeutet wurde, dass er sich gefälligst etwas mehr wie der<br />

»echte« Mann, das heißt, Mahound, benehmen solle. »Warum kannst du<br />

nicht, wie wir alle auch, deinen Namen ändern?« rief die jähzornige<br />

Hafsah, aber jetzt hatte Baal genug. »Vielleicht kann man nicht

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