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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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um heimlich das verbotene Fleisch zu kaufen. »Das Geschäft geht gut«,<br />

murmelte er, während er seine Dame bestieg, »der Schwarzmarktpreis<br />

für Schweinefleisch ist geklettert, aber diese neuen Gesetze machen mir<br />

die Arbeit schwer, verdammt noch mal. Es ist nicht leicht, ein Schwein<br />

heimlich zu schlachten, ohne Lärm«, und dann begann er selbst zu<br />

quieken, aber vermutlich eher vor Vergnügen als vor Schmerz. Und der<br />

Lebensmittelhändler Musa gestand einer anderen Hausangestellten vom<br />

horizontalen Gewerbe, dass man die alten Gewohnheiten nur schwer<br />

ablegen könne; wenn er sicher sei, dass niemand zuhöre, richte er nach<br />

wie vor ein Gebet an Manat, »die mir immer die Liebste gewesen ist,<br />

und manchmal, was soll man machen, auch an Al-Lat; weibliche Götter<br />

sind einfach Spitze, sie haben Attribute, mit denen es die Jungs nun mal<br />

nicht aufnehmen können«, woraufhin auch er sich mit Macht über die<br />

irdischen Imitationen dieser Attribute stürzte. So kam es, dass der welke,<br />

dahinwelkende Baal in seiner Verbitterung lernte, dass kein Reich ewig,<br />

kein Sieg vollständig ist. Und, langsam, kam Kritik an Mahound auf.<br />

Baal hatte angefangen, sich zu verändern. <strong>Die</strong> Nachricht von der<br />

Zerstörung des großen Al-Lat-Tempels zu Taif, die ihm zwischen den<br />

Grunzern des heimlichen Schweineschlächters Ibrahim zu Ohren<br />

gekommen war, hatte ihn unendlich traurig gestimmt, weil seine Liebe<br />

zu der Göttin, selbst auf dem Höhepunkt seines jugendlichen Zynismus’,<br />

echt, vielleicht sein einziges echtes Gefühl überhaupt gewesen war, und<br />

ihr Sturz ließ ihn die Falschheit eines Lebens erkennen, in dem die<br />

einzige wahre Liebe einem wehrlosen Stein gegolten hatte.<br />

Nachdem der erste stechende Schmerz seiner Trauer abgeklungen war,<br />

gelangte Baal zu der Überzeugung, dass mit Al-Lats Sturz auch sein<br />

eigenes Ende nicht mehr weit sei. Er verlor jenes eigentümliche Gefühl<br />

der Sicherheit, das er im »Vorhang« kurz kennengelernt hatte, aber das<br />

neuerliche Bewusstsein der Vergänglichkeit und die Gewissheit,<br />

entdeckt zu werden und dann sterben zu müssen, machten ihm<br />

interessanterweise nicht Angst. Er, der sein Leben lang ein<br />

eingefleischter Feigling gewesen war, stellte jetzt zu seiner großen<br />

Überraschung fest, dass der Gedanke an den bevorstehenden Tod ihn<br />

tatsächlich befähigte, die Süße des Lebens zu genießen, und er fand es<br />

paradox, dass ihm ausgerechnet in diesem Haus kostspieliger Lügen die<br />

Augen für diese Wahrheit geöffnet worden waren. Und was war die

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