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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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Mich kann man nicht dafür verantwortlich machen. Und überhaupt: wo<br />

ist er denn, dieser leichtfüßige, spöttische Wunderknabe, der<br />

scharfzüngige Baal? Ich erkenne ihn nicht wieder. Sieh mich an: schwer,<br />

plump, kurzsichtig, beinahe taub. Für wen bin ich denn eine Bedrohung?<br />

Für niemanden. Er begann, <strong>Salman</strong> zu schütteln: wach auf! Ich möchte<br />

nicht mit dir in Verbindung gebracht werden, wegen dir bekomme ich<br />

noch Ärger.<br />

Der Perser, der breitbeinig auf dem Boden hockte, mit dem Rücken an<br />

der Wand, den Kopf schief wie eine Puppe, schnarchte weiter. Baal, von<br />

Kopfschmerzen gepeinigt, ließ sich wieder auf sein Lager fallen. Seine<br />

Gedichte, überlegte er, worum war es gegangen? was für eine ART<br />

IDEE, verdammt, nicht einmal genau erinnern konnte er sich, scheint<br />

UNTERWERFUNG heut’, ja, ähnlich, kein Wunder nach der langen<br />

Zeit, eine IDEE DER FURCHTSAMKEIT, so jedenfalls lautete der<br />

Schluss. Mahound, jede neue Idee muss sich zwei Fragen stellen lassen.<br />

Wenn sie schwach ist: wird sie bereit sein, Kompromisse einzugehen?<br />

Wir kennen die Antwort. Und jetzt, Mahound, da du nach Jahilia<br />

zurückkehrst, ist es Zeit für die zweite: Was wirst du tun, wenn du<br />

gewinnst? Wenn deine Feinde deiner Gnade ausgeliefert sind und du<br />

über uneingeschränkte Macht verfügst: was dann? Wir alle haben uns<br />

verändert, wir alle außer Hind. <strong>Die</strong>, nach allem, was dieser Trunkenbold<br />

erzählt, mehr wie eine Frau aus Yathrib wirkt als eine aus Jahilia. Kein<br />

Wunder, dass ihr nicht miteinander ausgekommen seid. Sie wollte weder<br />

deine Mutter noch deine Tochter sein.<br />

Während Baal in den Schlaf sank, überdachte er seine Nutzlosigkeit, sein<br />

künstlerisches Scheitern. Nun, da er auf alle öffentlichen Auftritte<br />

verzichtete, handelten seine Gedichte vom Verlust: der Jugend,<br />

Schönheit, Liebe, Gesundheit, Unschuld, Entschlossenheit, Energie,<br />

Zuversicht, Hoffnung. Verlust des Wissens. Verlust des Wohlstands.<br />

Verlust von Hind. In seinen Oden wurde er von den Menschen verlassen,<br />

und je leidenschaftlicher er nach ihnen rief, desto schneller entfernten sie<br />

sich. <strong>Die</strong> Landschaft seiner Gedichte war noch immer die Wüste, waren<br />

die Wanderdünen mit dem Federkleid aus weißem Sand, der von ihren<br />

Anhöhen herabgeweht wurde.<br />

Sanfte Berge, unvollendete Reisen, vergängliche Zelte. Wie vermaß man<br />

ein Land, das täglich in eine neue Form geblasen wurde? Solche Fragen

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