10.12.2012 Aufrufe

Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Text, bis ich ihm eines Tages meine Zeilen vorlas und sah, wie er die<br />

Stirn runzelte und den Kopf schüttelte, als wollte er seine Gedanken<br />

klären, doch dann nickte er langsam zustimmend, aber nicht ganz<br />

überzeugt. Ich wusste, ich war bis zum Äußersten gegangen, das nächste<br />

Mal würde er alles merken. In jener Nacht lag ich wach, hatte sein<br />

Schicksal und auch das meine in der Hand.<br />

Wenn ich meinen Sturz herbeiführte, dann konnte ich auch ihn stürzen.<br />

In jener schrecklichen Nacht musste ich mich entscheiden, ob ich lieber<br />

Tod und Rache wollte oder ein Leben ohne alles. Wie du siehst, habe ich<br />

mich für das Leben entschieden. Vor Tagesanbruch verließ ich Yathrib<br />

auf meinem Kamel und ritt, mancherlei Unbill erleidend, das zu erzählen<br />

ich mir erspare, zurück nach Jahilia. Und jetzt kommt Mahound<br />

triumphierend hierher. Und ich werde mein Leben zu guter Letzt doch<br />

noch verlieren. Und er ist viel zu mächtig geworden, als dass ich ihn<br />

heute noch vernichten könnte.«<br />

Baal fragte: »Warum bist du so sicher, dass er dich töten wird?« <strong>Salman</strong>,<br />

der Perser, antwortete: »Sein Wort steht gegen meines.« Nachdem<br />

<strong>Salman</strong> zu Boden gesunken und eingeschlafen war, legte sich Baal auf<br />

seine kratzige Strohmatratze, fühlte ein stählernes Band von Schmerzen<br />

um seine Stirn und das warnende Flattern seines Herzens. Oft hatte er<br />

sich aus Lebensüberdruss einen frühen Tod gewünscht, aber, wie <strong>Salman</strong><br />

gesagt hatte, von einer Sache zu träumen ist etwas ganz anderes als sie<br />

wirklich zu erleben. Schon seit einiger Zeit schien die Welt immer näher<br />

zu rücken. Er konnte nicht mehr so tun, als hätte er keine<br />

Schwierigkeiten mit den Augen, und ihre Trübung machte sein Leben<br />

noch grauer, noch schwerer zu verstehen. All diese Unschärfen,<br />

Konturlosigkeiten: kein Wunder, dass es mit seiner Dichtung bergab<br />

gegangen war. Auch auf seine Ohren konnte er sich immer weniger<br />

verlassen. Wenn es in diesem Tempo weiterging, würde er, all seiner<br />

Sinne beraubt, bald völlig isoliert sein…<br />

Aber vielleicht würde es nicht soweit kommen. Mahound war unterwegs.<br />

Vielleicht würde er nie wieder eine Frau küssen.<br />

Mahound, Mahound. Warum ist dieser schwatzhafte Trunkenbold zu mir<br />

gekommen, dachte er ärgerlich. Was habe ich mit seinem Verrat zu tun?<br />

Jeder weiß, warum ich vor Jahren diese Satiren geschrieben habe; er<br />

muss es wissen. Wie mir der Grande drohte und mich einschüchterte.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!