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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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»Zuerst nur Kleinigkeiten. Wenn Mahound einen Vers zitierte, in dem<br />

Gott als der Allhörende, der Allwissende bezeichnet wurde, dann schrieb<br />

ich der Allwissende, der Weise. Und jetzt Pass auf: Mahound bemerkte<br />

die Veränderungen nicht. Da habe ich doch tatsächlich Das Buch<br />

geschrieben oder umgeschrieben, wie auch immer, jedenfalls das Wort<br />

Gottes mit meiner eigenen profanen Sprache verunreinigt. Aber wenn<br />

nicht einmal der Prophet Gottes meine armseligen Worte von der<br />

Offenbarung unterscheiden konnte, was hatte das eigentlich zu<br />

bedeuten? Was besagte das über die Qualität der göttlichen <strong>Verse</strong>? Du,<br />

ich schwöre, ich war total verunsichert.<br />

Es ist eine Sache, ein kluges Bürschchen zu sein und zu ahnen, dass hier<br />

krumme Geschäfte abgewickelt werden, aber herauszufinden, dass du<br />

recht hast, das ist etwas ganz anderes.<br />

Schau mal, ich habe mein Leben für diesen Mann geändert. Ich habe<br />

meine Heimat verlassen, bin durch die Welt gereist, habe mich unter<br />

Leuten niedergelassen, für die ich ein schmieriger, feiger Ausländer war,<br />

bloß weil ich ihnen das Leben, die sich kein einziges Mal bedankt, aber<br />

egal. Ich hatte mir das so vorgestellt: als ich diese erste winzige<br />

Änderung vornahm - weise statt allhörend -, wollte ich dem Propheten<br />

den Text vorlesen und er würde sagen, was ist los mit dir, <strong>Salman</strong>, bist<br />

du schwerhörig? und ich würde sagen, na, so was, das ist ja’n Ding,<br />

kleiner Flüchtigkeitsfehler, wie konnte ich, und würde die Stelle<br />

korrigieren. Aber es ist nicht passiert; und jetzt schrieb ich die<br />

Offenbarung, und kein Mensch merkte etwas, und ich hatte nicht den<br />

Mut, es zuzugeben. Ich sage dir: ich hatte eine Mordsangst, und ich war<br />

auch zu Tode betrübt. Also, ich musste weitermachen. Vielleicht hat er<br />

bloß nicht richtig aufgepasst, dachte ich, jeder kann mal einen Fehler<br />

machen. Das nächste Mal habe ich was Größeres verändert. Er sagte<br />

Christen, und ich schrieb Juden. Das musste er merken; völlig<br />

undenkbar, dass nicht. Als ich ihm aber das Kapitel vorlas, nickte er und<br />

dankte mir höflich, und ich ging mit Tränen in den Augen aus seinem<br />

Zelt. Da wusste ich, dass meine Tage in Yathrib gezählt waren, aber ich<br />

musste weitermachen. Ich konnte nicht anders. Es gibt keine größere<br />

Verbitterung als die eines Mannes, der feststellt, dass er an ein Gespenst<br />

geglaubt hat. Ich würde fallen, das war mir klar, aber er würde mit mir<br />

fallen. Also machte ich weiter mit meinen Teufeleien, veränderte den

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