10.12.2012 Aufrufe

Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Verkörperung der Stadt betrachtet wurde, als ihr lebendiges Avatara,<br />

denn sie erblickten in der Alterslosigkeit ihres Körpers und der<br />

unnachgiebigen Entschiedenheit ihrer Bekanntmachungen ein Abbild<br />

ihrer selbst, das ihnen sehr viel besser gefiel als das Spiegelbild, das<br />

ihnen aus Simbels verfallendem Gesicht entgegensah. Hinds Anschläge<br />

waren einflussreicher als die <strong>Verse</strong> der Dichter. Sie war sexuell noch<br />

immer unersättlich und hatte mit jedem Schriftsteller der Stadt<br />

geschlafen (wenn es auch lange her war, dass sie Baal in ihr Bett geholt<br />

hatte); jetzt waren die Schriftsteller aufgebraucht, ausrangiert, und sie<br />

war zügellos.<br />

Mit dem Schwert genauso wie mit der Feder. Sie war Hind, die, als<br />

Mann verkleidet, in das Heer von Jahilia eingetreten war, sich mit<br />

Zauberei vor Speeren und Schwertern zu schützen gewusst und im<br />

wildesten Kriegsgetümmel den Mörder ihrer Brüder ausfindig gemacht<br />

hatte. Hind, die den Onkel des Propheten schlachtete und Leber und<br />

Herz des alten Hamza verzehrte.<br />

Wer vermochte ihr zu widerstehen? <strong>Die</strong> Leute verziehen ihr, wegen ihrer<br />

ewigen Jugend, die auch die ihre war, wegen ihrer Unbändigkeit, die<br />

ihnen die Illusion von Unbesiegbarkeit bescherte, und wegen ihrer<br />

Bullen, in denen die Zeit, die Geschichte, das Alter geleugnet wurden,<br />

die den ungetrübten Glanz der Stadt besangen und dem Dreck und der<br />

Hinfälligkeit der Straßen trotzten, die auf Größe beharrten, auf<br />

Führertum, auf Unsterblichkeit, auf dem Status der Jahilier als den<br />

Hütern des Göttlichen… wegen dieser Schriften verziehen ihr die Leute<br />

ihre Promiskuität, sie drückten ein Auge zu, wenn berichtet wurde, Hind<br />

sei an ihrem Geburtstag in Smaragden aufgewogen worden, sie nahmen<br />

Gerüchte über Orgien nicht zur Kenntnis, sie lachten, wenn sie vom<br />

Umfang ihrer Garderobe hörten, von den fünfhunderteinundachtzig<br />

goldgewirkten Nachtgewändern, von den vierhundertzwanzig Paar<br />

rubingeschmückten Pantoffeln. <strong>Die</strong> Bürger von Jahilia schleppten sich<br />

durch die immer gefährlicheren Straßen, in denen Morde für ein paar<br />

Münzen an der Tagesordnung waren, in denen alte Frauen vergewaltigt<br />

und rituell hingeschlachtet wurden, in denen Hinds private Polizeitruppe,<br />

das Mantikorps, die Aufstände der Hungernden brutal niederschlug, und<br />

obwohl ihre Augen sahen, ihre Bäuche und ihre Brieftaschen eine<br />

deutliche Sprache sprachen, glaubten sie, was Hind ihnen einflüsterte:

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!