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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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»Er bekommt, was er braucht, Mutter. Richtige ärztliche Versorgung,<br />

viel Ruhe und etwas, was du vielleicht schon vergessen hast.« Sie<br />

stockte plötzlich, die Zunge verknotet, und mit völlig veränderter, leiser<br />

Stimme bekam sie, ihren unberührten Salat anstarrend, das letzte Wort<br />

heraus: »Liebe.«<br />

»Ah, die Macht der Liebe«, Alicja tätschelte die (sofort zurückgezogene)<br />

Hand ihrer Tochter. »Nein, ich habe sie nicht vergessen, Alleluja. Du<br />

hast gerade erst angefangen in deinem wunderschönen Leben, die Liebe<br />

kennenzulernen. Und wen hast du dir ausgesucht?« Jetzt war sie wieder<br />

zum Angriff übergegangen.<br />

»Einen Faulpelz, Nichtsnutz, Spinner. Also wirklich, meine Liebe:<br />

Engel, so was ist mir noch nie vorgekommen. Männer halten sich immer<br />

für was Besonderes, aber dieser hier schlägt dem Fass den Boden aus.«<br />

»Mutter…«, begann Allie, doch Alicjas Stimmung hatte sich wieder<br />

verändert, und diesmal achtete Allie nicht auf die Worte, sondern hörte<br />

den Schmerz, den sie offenbarten und verbargen, das Leid einer Frau, die<br />

Geschichte auf brutalste Weise erlebt hatte, die ihren Mann verloren<br />

hatte und eine Tochter, deren Tod sie einmal mit unvergesslichem<br />

schwarzen Humor (sie musste die Sportseiten zufällig gelesen haben, um<br />

auf diesen Ausdruck zu stoßen) mit vorzeitig baden gegangen<br />

umschrieben hatte. »Allie, mein Kleines«, sagte Alicja Cohen, »wir<br />

werden gut auf dich aufpassen müssen.«<br />

Ein Grund, weshalb Allie Panik und Schmerz im Gesicht ihrer Mutter<br />

erkannte, war der Umstand, dass ihr die gleiche Kombination unlängst<br />

bei Gibril Farishta aufgefallen war.<br />

Nachdem Sisodia ihn bei ihr abgeliefert hatte, wurde ihr klar, dass Gibril<br />

etwas Markerschütterndes zugestoßen sein musste, und er hatte diesen<br />

gehetzten Ausdruck, diese glupschäugige Angst, die ihr das Herz zerriss.<br />

Er fand sich couragiert damit ab, dass er geisteskrank war, lehnte es ab,<br />

die Krankheit herunterzuspielen oder mit einem anderen Namen zu<br />

bezeichnen, aber die Anerkennung der Fakten hatte ihn,<br />

verständlicherweise, niedergedrückt. Nicht mehr (jedenfalls vorläufig)<br />

jener kraftstrotzende Wüstling, für den sie eine »große Leidenschaft«<br />

empfunden hatte, wurde er in dieser ungewohnt verletzlichen Inkarnation<br />

liebenswerter für sie als je zuvor. Sie war fest entschlossen, ihm zur<br />

Gesundheit zurückzuhelfen, auszuharren, den Sturm abzuwarten und

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