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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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sich nie für ihn interessiert, aber ihm war eingefallen, ihr auf diese<br />

verklemmte, stumme Weise den Hof zu machen und ihr von Zeit zu Zeit<br />

diese Blätter zu schicken.<br />

»Warum hast du sie nicht in den Papierkorb geworfen?«<br />

heulte Gibril. Allie, die das Ausmaß seines Zorns noch immer nicht<br />

erfasste, erwiderte leichthin. Sie hatte diese Bilder behalten, weil sie ihr<br />

gefielen. Das erste war eine alte Karikatur aus Punch, die Leonardo da<br />

Vinci in seinem Atelier zeigte, umringt von Schülern, wie er die Mona<br />

Lisa wie eine Frisbee-Scheibe durch das Zimmer schleuderte. »Merkt<br />

euch meine Worte«, sagte er in der Bildunterschrift, »eines Tages<br />

werden die Menschen in solchen Dingern nach Padua fliegen.« Im<br />

zweiten Rahmen war eine Seite aus Toff, einem englischen Comic-Heft<br />

für Jungen, das aus dem Zweiten Weltkrieg stammte. Damals, als so<br />

viele Stadtkinder evakuiert wurden, hatte man es für nötig befunden, das,<br />

was in der Welt der Erwachsenen passierte, in Form von Comics zu<br />

erklären. Hier nun war eine der wöchentlichen Begegnungen zwischen<br />

dem heimischen Team - Toff (ein hässliches Kind mit Monokel,<br />

Etonjacke und gestreifter Hose) und Bert mit Schiebermütze und<br />

zerschundenen Knien) - und dem feigen Gegner, dem Bösen Adolf und<br />

seiner Schreckensbande zu sehen (ein Trupp brutaler Gesellen mit<br />

furchterregenden Körperteilen, zum Beispiel ein Stahlhaken statt einer<br />

Hand, klauenartigen Füßen, Zähnen, die einem den Arm durchbeißen<br />

konnten). Sieger war stets das britische Team. Gibril starrte voller<br />

Verachtung auf das eingerahmte Bild. »Ihr verfluchten Engländer! So<br />

denkt ihr wirklich. Der Krieg hat für euch wirklich so ausgesehen!« Allie<br />

beschloss, weder ihren Vater zu erwähnen, noch Gibril davon zu<br />

erzählen, dass einer der Toff-Zeichner, ein aus Berlin stammender,<br />

leidenschaftlicher Antifaschist namens Wolf eines Tages verhaftet und<br />

zusammen mit all den anderen Deutschen in England interniert worden<br />

war und dass, Brunel zufolge, seine Kollegen nicht einen Finger gerührt<br />

hatten, um ihn zu retten.<br />

»Herzlosigkeit«, hatte Jack gemeint. »Das einzige, was ein Karikaturist<br />

wirklich braucht. Was für ein Künstler wäre Disney geworden, wenn er<br />

kein Herz gehabt hätte. Das war sein entscheidender Schwachpunkt.«<br />

Brunel gehörte ein kleines Trickfilmstudio namens Scarecrow<br />

Productions, nach der Figur in The Wizard of Oz.

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