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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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geprüft, gefrorene Wasserfälle, Gletscherspalten, Überhänge bezwungen.<br />

Ich hätte den Gipfel in Angriff genommen und die Engel tanzen sehen.<br />

Aber er ist tot und liegt auf dem Grund des Meeres.<br />

Dann stieß sie auf ihn. Und vielleicht hatte auch er sie ein bisschen<br />

erfunden, eine Frau erfunden, die zu lieben es sich lohnte, aus seinem<br />

alten Leben herauszustürmen. Nichts sonderlich Bemerkenswertes dabei.<br />

Passiert oft genug; und die beiden Erfinder gehen daran, die rohen<br />

Kanten des anderen abzuschleifen, ihre Erfindungen anzupassen, die<br />

Phantasie nach der Wirklichkeit zu gestalten, zu lernen, wie man<br />

miteinander lebt, oder auch nicht. Es klappt oder es klappt nicht. Aber<br />

anzunehmen, Gibril Farishta und Alleluja Cone hätten diesen bekannten<br />

Weg beschreiten können, hieße, den Fehler machen, ihre Beziehungen<br />

für etwas Gewöhnliches zu halten. Das war sie nicht, nicht einmal<br />

ansatzweise.<br />

Es war eine Beziehung mit erheblichen Schwachpunkten.<br />

(»<strong>Die</strong> moderne Stadt«, hatte Otto Cone einst seinem Steckenpferd<br />

gefrönt und bei Tisch vor gelangweilter Familie doziert, »ist der<br />

klassische Ort unvereinbarer Realitäten. Existenzen, die nichts<br />

miteinander verbindet, sitzen Seite an Seite im Omnibus. Ein Universum,<br />

das auf einem Zebrastreifen eine Straße überquert, wird für einen<br />

Augenblick, verständnislos wie ein Kaninchen, von den Scheinwerfern<br />

eines Automobils eingefangen, in dem sich ein völlig fremdes und<br />

widersprüchliches Kontinuum befindet. Und solange es dabei bleibt,<br />

gehen sie nachts aneinander vorüber, drängen sich in U-Bahnhöfe,<br />

nehmen in irgendwelchen Hotelkorridoren die Hüte ab, kein Grund zur<br />

Aufregung. Aber wenn sie aufeinander treffen! Das ist Uran und<br />

Plutonium, die sich gegenseitig auflösen, bummms!« - »Eigentlich«,<br />

sagte Alicja, »komme ich mir selbst oft ein wenig unvereinbar vor, mein<br />

Lieber.«) <strong>Die</strong> Schwachpunkte in der großen Liebe zwischen Alleluja<br />

Cone und Gibril Farishta waren wie folgt: ihre heimliche Angst vor ihrer<br />

heimlichen Sehnsucht, also der Liebe; aufgrund derer sie dazu neigte,<br />

den Menschen, dessen Zuneigung sie am meisten suchte, zu meiden, ja<br />

heftig zu attackieren; und je größer die Vertrautheit, desto heftiger<br />

schlug sie um sich; so dass der andere, der an einen Ort absoluten<br />

Vertrauens geführt worden war und seine Abwehr aufgegeben hatte, die<br />

ganze Wucht des Schlages abbekam und zu Boden ging; was Gibril

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