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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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geflogen war, blieb keine einmalige Angelegenheit; immer wieder funkte<br />

es, und wenn sie sich liebten, glaubte Allie manchmal, das Knistern der<br />

Elektrizität um sich herum hören zu können; zuweilen spürte sie, wie<br />

sich ihre Haare aufstellten. »Es erinnert mich an den elektrischen Dildo<br />

in Vaters Arbeitszimmer«, sagte sie zu Gibril, und sie lachten.<br />

»Bin ich die Liebe deines Lebens?« fragte sie schnell, und er antwortete<br />

genauso schnell: »Na klar.«<br />

Sie gestand ihm frühzeitig, dass die Gerüchte über ihre Unnahbarkeit, ja<br />

Gefühlskälte nicht unbegründet waren. »Nach Yels Tod übernahm ich<br />

auch diese Seite von ihr.« Sie hatte es nicht mehr nötig, der Schwester<br />

ihre Liebhaber ins Gesicht zu schleudern. »Und es hat mir auch keinen<br />

Spaß mehr gemacht.<br />

Es waren meistens revolutionäre Sozialisten, die mit mir vorliebnahmen,<br />

während sie von den heroischen Frauen träumten, denen sie auf ihren<br />

dreiwöchigen Kubareisen begegnet waren.<br />

<strong>Die</strong> haben sie natürlich nie angerührt. Der anstrengende Kampf und die<br />

Sorge um ideologische Sauberkeit sind ihnen in die Knochen gefahren.<br />

Sie kehrten nach Hause zurück, summten ›Guantanamera‹ und riefen<br />

mich an.« Sie stieg aus. »Ich dachte, sollen die besten Köpfe meiner<br />

Generation ihre Monologe über die Macht doch auf dem Körper einer<br />

anderen Frau halten, nicht mit mir.« Sie begann mit der Bergsteigerei,<br />

behauptete sie damals, als sie damit anfing, »weil ich wusste, dass sie<br />

mir dorthin nicht folgen würden. Aber dann dachte ich, Scheiße. Ich<br />

hab’s nicht für sie getan. Ich hab’s für mich getan.«<br />

Wegen ihrer Plattfüße lief sie jeden Abend eine Stunde lang die Treppe<br />

hinauf und hinunter, barfuß und auf Zehenspitzen, um sich dann wütend<br />

in einen Haufen Kissen fallen zu lassen.<br />

Gibril sah hilflos zu, und gewöhnlich endete es damit, dass er ihr etwas<br />

Starkes zu trinken brachte, meist irischen Whisky. Sie trank, seitdem ihr<br />

das Problem mit ihren Füßen richtig bewusst geworden war. (»Sag um<br />

Gotteswillen nichts davon«, empfahl ihr eine Stimme aus der<br />

Werbeagentur surrealistisch am Telefon, »wenn es rauskommt, dann ist<br />

Sense, finito, Sayonara, Schluss, aus.«) In ihrer einundzwanzigsten<br />

gemeinsamen Nacht sagte sie, mit fünf doppelten Jamesons intus:<br />

»Warum ich wirklich dort hinaufgestiegen bin? Lach nicht: um von Gut<br />

und Böse wegzukommen.« Er lachte nicht.

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