10.12.2012 Aufrufe

Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Liebe.<br />

Eine Woche lang schlief er praktisch rund um die Uhr, wachte nur auf,<br />

um die elementaren Bedürfnisse des Hungers und der Hygiene zu stillen,<br />

sprach kaum ein Wort. Er schlief unruhig, warf sich im Bett hin und her,<br />

und gelegentlich entschlüpften ihm einzelne Wörter: Jahilia, Al-Lat,<br />

Hind. In wachem Zustand schien er sich gegen den Schlaf wehren zu<br />

wollen, doch dann packte er ihn, wogte über ihn hinweg, und während er<br />

kraftlos, herzzerreißend fast, mit dem Arm ruderte, zog es ihn hinab. Sie<br />

konnte sich nicht vorstellen, welche traumatischen Erlebnisse Anlass zu<br />

einem solchen Verhalten gegeben haben mochten, und ein wenig<br />

beunruhigt rief sie ihre Mutter an. Alicja kam, inspizierte den<br />

schlafenden Gibril, schürzte die Lippen und verkündete: »Ein<br />

Besessener.« Sie hatte sich mehr und mehr in eine Art Singersche<br />

Dybbuk-Welt zurückgezogen, und ihr Mystizismus machte ihre<br />

pragmatische, bergsteigende Tochter immer wieder wütend. »Versuch’s<br />

mal mit einer Saugpumpe am Ohr«, empfahl Alicja. »Das ist der<br />

Ausgang , den diese Kreaturen bevorzugen.« Allie brachte ihre Mutter<br />

zur Tür.<br />

»Vielen Dank«, sagte sie, »ich melde mich wieder.«<br />

Am siebenten Tag wurde er hellwach, riss die Augen weit auf wie eine<br />

Puppe und griff sofort nach ihr. Sie lachte über die Plumpheit seiner<br />

Annäherung fast ebenso sehr wie vor Überraschung, aber da war wieder<br />

dieses Gefühl von Natürlichkeit, von Richtigkeit; sie grinste, »Na schön,<br />

du hast es so gewollt«, und sie schlüpfte aus der unförmigen, elastischen<br />

kastanienbraunen Hose und der weitgeschnittenen Jacke - sie mochte<br />

keine Sachen, die ihre Formen betonten -, und das war der Anfang des<br />

sexuellen Marathons, an dessen Ende sie wund, glücklich und erschöpft<br />

zurücksanken.<br />

Er erzählte ihr: er fiel vom Himmel und lebte. Sie holte tief Luft und<br />

glaubte ihm, weil ihr Vater an die unzähligen und widersprüchlichen<br />

Möglichkeiten des Lebens geglaubt hatte und auch wegen der Dinge, die<br />

der Berg sie gelehrt hatte.<br />

»Okay«, sagte sie und atmete aus, »ich nehm’s dir ab. Aber sag meiner<br />

Mutter nichts davon, ja?« Das Universum war ein Ort der Wunder, und<br />

nur die Gewöhnung, die Narkose des Alltags, stumpft unseren Blick ab.<br />

Erst vor wenigen Tagen hatte sie gelesen, dass, während die Sterne

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!