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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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Lebzeiten, da er häufig unausstehlich gewesen war, nicht hatte<br />

entgegenbringen können. Zum Beispiel: Er entwickelte einen<br />

hasserfüllten Antikommunismus, der zu extrem peinlichen<br />

Verhaltensweisen führte, besonders zu Weihnachten, wenn dieser Jude<br />

darauf bestand, mit seiner jüdischen Familie und anderen diesen - wie er<br />

es nannte -»englischen Ritus« zu feiern, zum Zeichen des Respekts für<br />

ihr neues »Gastgeberland«, und dann (aus der Sicht seiner Frau) alles<br />

verdarb, indem er in den Salon platzte, wo die versammelte Mannschaft<br />

sich bei glühendem Kaminfeuer, brennenden Weihnachtskerzen und<br />

Brandy entspannte, und rief: »Der Weihnachtsmann ist tot! Ich habe ihn<br />

umgebracht! Ich bin Mao: Geschenke gibt’s nicht! Ha ha ha!«<br />

Allie, auf dem Everest, zuckte zusammen bei der Erinnerung und<br />

merkte, dass es das Zucken ihrer Mutter war, das sich auf ihr eiskaltes<br />

Gesicht übertragen hatte.<br />

<strong>Die</strong> Unvereinbarkeit der Lebenselemente: diese Vorstellung (zuweilen<br />

erschien sie ihr als der Geist ihres Vaters) klang in einem Zelt in Camp<br />

Vier, in achttausendvierhundertzwölf Meter Höhe, banal, als hätte sie<br />

durch die Höhe jede Bedeutung, jede Atmosphäre verloren. »Der Everest<br />

lässt einen verstummen«, gestand sie Gibril Farishta in einem Bett, über<br />

dem ein Baldachin aus Fallschirmseide einen hohlen Himalaja formte.<br />

»Wenn man herunterkommt, hat man das Gefühl, dass es nichts zu sagen<br />

gibt, absolut nichts. Man ist in Nichts eingehüllt wie in Töne. Nicht-Sein.<br />

Natürlich bleibt es nicht ewig so. <strong>Die</strong> Welt stürzt früh genug wieder auf<br />

einen ein. Was einem den Mund verschließt, ist wohl, dass man etwas<br />

Vollkommenes gesehen hat: warum sprechen, wenn einem keine<br />

vollkommenen Gedanken, keine vollkommenen Sätze gelingen? Es wäre<br />

Verrat an dem, was man erlebt hat. Aber es geht vorbei. Man akzeptiert,<br />

dass bestimmte Kompromisse nötig sind, wenn es weitergehen soll.«<br />

Ihre ersten gemeinsamen Wochen verbrachten sie überwiegend im Bett:<br />

ihr Appetit aufeinander schien unersättlich, sie liebten sich sechs -,<br />

siebenmal am Tag.<br />

»Du hast mich aufgetaut«, sagte sie. »Du, mit dem Schinken im Mund.<br />

Es war genau so, als ob du zu mir gesprochen hättest, als ob ich deine<br />

Gedanken hätte lesen können. Nein, nicht als ob«, verbesserte sie sich,<br />

»ich habe sie wirklich lesen können, stimmt’s?« Er nickte: es stimmte.<br />

»Ich habe deine Gedanken gelesen und dann einfach das Richtige

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