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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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sorgte, jetzt musste ihr auch noch das passieren; sie war mit einem<br />

Küchenmesser auf Mishal losgegangen, und ihre Tochter hatte sich mit<br />

schmerzhaften Tritten und Stößen gewehrt, die reine Selbstverteidigung,<br />

sonst hätte man es nur Muttermord nennen können. Hanif kam wieder zu<br />

sich, Hadschi Sufyan sah zu ihm hinunter, bewegte die Hände in ratlosen<br />

kleinen Kreisen, weinte hemmungslos, vermochte keinen Trost in seiner<br />

Bildung zu finden, denn die Reise nach Mekka, für die meisten Moslems<br />

eine große Gnade, war für ihn der Anfang eines Fluchs gewesen. »Geh«,<br />

sagte er.<br />

»Hanif, mein Freund, verschwinde.« Doch Hanif wollte nicht gehen,<br />

ohne noch etwas loszuwerden. Ich habe viel zu lange den Mund<br />

gehalten, rief er, ihr, die ihr euch für so moralisch haltet, bereichert euch<br />

am Elend eures eigenen Volkes, woraufhin sich herausstellte, dass<br />

Hadschi Sufyan nie gewusst hatte, welche Preise seine Frau verlangte,<br />

die es ihm nie erzählt und ihre Töchter mit schrecklichen und bindenden<br />

Schwüren zum Schweigen verpflichtet hatte, wohl wissend, dass er,<br />

einmal darauf gekommen, einen Weg fände, das Geld zurückzugeben, so<br />

dass sie weiter in Armut dahinvegetieren würden; und er, die gute Seele<br />

des Café Shaandaar verlor jetzt alle Lebensfreude. Und nun kam Mishal<br />

ins Café, o welche Schande, die familiären Verhältnisse so in Szene zu<br />

setzen, wie ein billiges Theaterstück, vor den Augen der zahlenden<br />

Gäste, obwohl de facto die letzte Teetrinkerin den Schauplatz so schnell<br />

verließ, wie ihre alten Beine es erlaubten. Mishal hatte Taschen dabei.<br />

»Ich gehe ebenfalls«, verkündete sie.<br />

»Versucht nicht, mich aufzuhalten. Es sind nur noch elf Tage.«<br />

Als Hind sah, dass ihre ältere Tochter im Begriff war, ein für allemal aus<br />

ihrem Leben zu treten, wurde ihr klar, welchen Preis man zahlte, wenn<br />

man den Fürsten der Finsternis unter seinem Dach beherbergte. Sie bat<br />

ihren Mann, Vernunft anzunehmen, zu begreifen, dass sie durch seine<br />

Gutmütigkeit und Großzügigkeit in diese Hölle geraten seien und dass<br />

sie, wenn nur dieser Teufel, Chamcha, aus dem Haus geworfen würde,<br />

wieder die glückliche und fleißige Familie werden könnten, die sie<br />

früher gewesen waren. Kaum hatte sie den Satz beendet, begann das<br />

Haus über ihr, zu rumpeln und zu erzittern, und man hörte ein Geräusch<br />

von der Treppe her, etwas kam herunter, knurrend und - so schien es<br />

jedenfalls - singend, mit einer so abscheulich heiseren Stimme, dass man

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