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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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»Du wächst langsam aus der Dachkammer heraus«, meinte Mishal<br />

verstimmt. »Bald wird es hier zu eng für dich sein.«<br />

Keine Frage, die Lage spitzte sich zu.<br />

»Gestern ahmd is wieder ne alte Frau alle gemacht worn«, verkündete<br />

Hanif in seinem gekünstelten Trinidad-Akzent.<br />

»Jezz kriegt se keine Rente mehr.« Anahita Sufyan, die hinter der Theke<br />

des Café Shaandaar stand, klapperte mit Tassen und Tellern. »Ich weiß<br />

nicht, warum du so sprichst«, beschwerte sie sich. »Macht mich echt<br />

sauer.« Hanif ignorierte sie, setzte sich neben Jumpy, der<br />

geistesabwesend murmelte: »Was haben sie gesagt?« <strong>Die</strong> Aussicht,<br />

Vater zu werden, lastete schwer auf Jumpy Joshi, aber Hanif schlug ihm<br />

auf den Rücken. »Na Bruder, deine Gedichte verkaufen sich wohl nicht<br />

gut?« sagte er mitleidsvoll. »Siehst aus, als wäre dein Fluss aus Blut<br />

geronnen.« Ein Blick von Jumpy, und er änderte den Tonfall. »Sie sagen,<br />

was sie sagen«, antwortete Hanif.<br />

»Vorsicht vor Farbigen, die in Autos herumfahren. Tja, wenn sie ‘ne<br />

Schwarze gewesen wäre, würde es heißen ›Kein Grund, rassische Motive<br />

zu unterstellen‹. Ich sage dir«, fuhr er fort, »manchmal bekomme ich<br />

eine Wahnsinnsangst vor dem Aggressionspotential, das in dieser Stadt<br />

knapp unter der Oberfläche brodelt. Es ist nicht bloß der Omamörder. Es<br />

ist überall. Du fällst in der U-Bahn während des Berufsverkehrs in die<br />

Zeitung eines anderen, und schon läufst du Gefahr, die Fresse poliert zu<br />

kriegen. Alle sind so furchtbar gereizt, scheint mir. Einschließlich dir,<br />

mein Freund«, sagte er. Jumpy stand auf, entschuldigte sich und ging<br />

ohne ein Wort der Erklärung hinaus. Hanif breitete die Arme aus und<br />

warf Anahita sein gewinnendstes Lächeln zu. »Was hab’ ich bloß<br />

getan?«<br />

Anahita lächelte süß zurück. »Kannst du dir vorstellen, Hanif, dass<br />

andere Leute dich vielleicht nicht besonders leiden können?«<br />

Als bekannt wurde, dass der Omamörder erneut zugeschlagen hatte,<br />

hörte man immer öfter, dass sich die abscheulichen Morde an alten<br />

Frauen, verübt von einem »Satan in Menschengestalt«, der stets die<br />

inneren Organe seiner Opfer hübsch ordentlich um die Leichen drapierte,<br />

eine Lunge neben einem Ohr, und das Herz, aus offensichtlichen

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