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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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Ob sich der beständig weiter ummodelnde Saladin Chamcha in eine Art<br />

Science-Fiction- oder Horrorvideo-Monster verwandelte, in eine<br />

zufallsbedingte Mutation, die kraft natürlicher Auslese bald von der<br />

Bildfläche verschwunden sein würde, oder in ein Avatara des Herrn der<br />

Hölle - wie auch immer: Tatsache ist (und in dieser Angelegenheit<br />

empfiehlt es sich, vorsichtig vorzugehen, von einem unwiderlegbaren<br />

Beweis zum nächsten, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen, bis wir auf<br />

dem endlosen, gewundenen, steinigen Weg der Erkenntnis -<br />

unanfechtbar - Zentimeter vor dem Ziel stehen), dass die beiden Töchter<br />

des Hadschi Sufyan ihn unter ihre Fittiche genommen hatten, sich um<br />

das Biest kümmerten wie nur Schöne es können; und dass er mit der Zeit<br />

eine tiefe Zuneigung zu den beiden fasste. Mishal und Anahita waren<br />

ihm lange unzertrennlich erschienen, Faust und Schatten, Schuss und<br />

Echo, die Jüngere immer bemüht, der hochgewachsenen, lebhaften<br />

Schwester nachzueifern, Karatetritte und Wing-Chun-Stöße auszuteilen,<br />

in schmeichelhafter Imitation der kompromisslosen Art Mishals. In<br />

letzter Zeit hatte er jedoch mit Bedauern eine wachsende Feindseligkeit<br />

zwischen den Schwestern bemerkt. Eines Abends stand Mishal an<br />

seinem Mansardenfenster und zeigte ihm einige Typen auf der Straße:<br />

dort ein alter Sikh, der aus Schock über einen rassistischen Angriff in<br />

völliges Schweigen verfallen war; fast sieben Jahre, so hieß es, habe er<br />

nicht mehr gesprochen, vorher war er einer der wenigen »schwarzen«<br />

Friedensrichter der Stadt gewesen, aber jetzt verkündete er keine Urteile<br />

mehr, befand sich stets in Begleitung seiner griesgrämigen Frau, die ihn<br />

herablassend und gereizt behandelte, ach, lassen Sie ihn, der sagt nicht<br />

mal mehr piep, und dort drüben ein ganz unscheinbarer »kleiner<br />

Beamter« (Mishals Ausdruck) auf dem Nachhauseweg, mit einer<br />

Aktenmappe und einer Schachtel Bonbons; er war im Viertel bekannt für<br />

seine merkwürdige Angewohnheit, allabendlich eine halbe Stunde lang<br />

die Wohnzimmereinrichtung umzuräumen, die Stühle in Reihen,<br />

getrennt durch einen Mittelgang, aufzustellen und so zu tun, als sei er der<br />

Schaffner eines Omnibusses auf dem Weg nach Bangladesch, eine<br />

Zwangsvorstellung, bei der seine gesamte Familie mitspielen musste,<br />

und nach exakt einer halben Stunde hört er auf, und die übrige Zeit ist er<br />

der langweiligste Kerl, den man sich denken kann; und nach ein paar<br />

weiteren Beispielen warf die fünfzehnjährige Anahita gehässig ein: »Sie

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