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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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Art Elefantenmensch-Krankheit zu betrachten, als etwas Abstoßendes,<br />

aber nicht unbedingt Beängstigendes. »Wenn er mir aus dem Weg geht,<br />

dann gehe ich ihm auch aus dem Weg«, sagte sie zu ihren Töchtern.<br />

»Und ihr, Kinder meiner Verzweiflung, warum verbringt ihr eure Zeit<br />

dort oben bei einem Kranken, während eure Jugend vorüberfliegt, wer<br />

weiß es schon, aber in diesem Vilayet scheint alles, was ich einmal<br />

wusste, eine Lüge zu sein, zum Beispiel die Vorstellung, dass junge<br />

Mädchen ihren Müttern helfen, ans Heiraten denken, fleißig lernen und<br />

nicht bei Ziegen herumsitzen sollen, denen wir am Großen Id die Kehle<br />

durchschneiden, wie es unser Brauch ist.«<br />

Ihr Mann blieb indes besorgt, selbst nach dem merkwürdigen Vorfall,<br />

der sich ereignete, als er zur Dachkammer hinaufstieg und Saladin zu<br />

bedenken gab, dass sich die Mädchen womöglich doch nicht geirrt<br />

hätten, dass äh, wie sollte er es ausdrücken, die Besessenheit seines<br />

Körpers vielleicht durch Fürsprache eines Mullahs geheilt werden könne.<br />

Kaum war die Rede auf einen Geistlichen gekommen, baute Chamcha<br />

sich auf seinen Füßen auf, hob beide Arme hoch über den Kopf, und<br />

irgendwie füllte sich der Raum mit dichtem, schwefligen Rauch,<br />

während ein hohes, vibrierendes, durchdringendes Gekreisch wie ein<br />

Stachel an Sufyans Trommelfell kratzte. Der Rauch verzog sich rasch,<br />

weil Chamcha ein Fenster aufstieß und fieberhaft die Schwaden zu<br />

vertreiben suchte, während er sich überaus verlegen bei Sufyan<br />

entschuldigte. »Ich weiß wirklich nicht, was über mich gekommen ist,<br />

aber manchmal habe ich Angst, dass ich mich in etwas verwandle, was<br />

die Bezeichnung böse verdient.«<br />

Sufyan, liebenswürdiger Bursche, der er war, ging zu Chamcha, der<br />

seine Hörner umklammerte, klopfte ihm auf die Schulter und versuchte,<br />

ihn so gut er konnte zu trösten.<br />

»Problem der Wandlungsfähigkeit des Subjekts«, begann er unbeholfen,<br />

»ist schon lange Gegenstand tiefschürfender Debatten. Der Große<br />

Lukrez beispielsweise sagt in De Rerum Natura das Folgende:<br />

quodcumque suis mutatum finibus exit, continuo hoc mors est illius quod<br />

fuit ante. Übersetzt heißt das, entschuldigen Sie meine wenig elegante<br />

Formulierung: ›Was, indem es sich verwandelt, seine Grenzen<br />

überschreitet, das heißt, über seine Ufer tritt, oder vielleicht seine<br />

Schranken überwindet, gewissermaßen seine eigenen Gesetze

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