10.12.2012 Aufrufe

Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

ingst ihn wieder zurück, rief sie vom obersten Stockwerk, von Saladins<br />

Kammer aus - und wickelte den Geschwächten in Schafspelz und Decke,<br />

führte ihn durch die Schatten zum Café Shaandaar und versprach ihm<br />

mit leerer Freundlichkeit: »Es wird alles wieder gut, du wirst sehen, wir<br />

werden das schon hinkriegen.«<br />

Als Saladin Chamcha aufwachte, erfüllte ihn die Erinnerung an diese<br />

Worte mit bitterem Zorn. Wo ist Farishta, dachte er.<br />

<strong>Die</strong>ser Mistkerl! Ich wette, er lässt es sich gut gehen. Das war ein<br />

Gedanke, auf den er, mit ungewöhnlichen Folgen, noch zurückkommen<br />

würde; im Augenblick hatte er Wichtigeres zu erledigen.<br />

Ich bin die Inkarnation des Bösen, dachte er. Damit musste er sich<br />

abfinden. Wie es auch passiert sein mochte, es ließ sich nicht bestreiten.<br />

»Ich bin nicht mehr, oder nicht nur, ich selbst.<br />

Ich bin die Verkörperung des Schlechten, des Hassenswerten, der Sünde.<br />

Warum? Warum ich?<br />

Was hatte er Böses getan, welche Gemeinheiten konnte, würde er<br />

begehen?<br />

Wofür - dieses Gedankens konnte er sich nicht erwehren - wurde er<br />

bestraft? Und, wenn er schon dabei war: von wem? (Ich hielt den Mund.)<br />

Hatte er nicht seine eigene Idee des Guten verfolgt, danach gestrebt, das<br />

zu werden, was er am meisten bewunderte, sich mit einer an Obsession<br />

grenzenden Entschlossenheit daran gemacht, ein richtiger Engländer zu<br />

werden? Hatte er nicht hart gearbeitet, allen Ärger vermieden, sich<br />

angestrengt, etwas Neues zu werden? Beharrlichkeit, hohe Ansprüche,<br />

Mäßigung, Disziplin, Selbstvertrauen, Redlichkeit, Häuslichkeit: worauf<br />

lief das alles hinaus, wenn nicht auf einen Sittenkodex? War es seine<br />

Schuld, dass Pamela und er keine Kinder hatten? War er für die Genetik<br />

verantwortlich? Konnte es sein, in dieser auf den Kopf gestellten Zeit,<br />

dass er vom Schicksal - so wollte er das ausführende Organ nennen -<br />

eben wegen seines Strebens nach »dem Guten« bestraft wurde? Dass ein<br />

solches Streben heutzutage als absonderlich, ja sogar schlecht galt? Wie<br />

grausam war dieses Schicksal dann, das veranlasste, dass er aus dieser<br />

Welt gejagt wurde, um die er so entschlossen geworben hatte; wie<br />

deprimierend, einer Stadt verwiesen zu werden, die man glaubte schon<br />

längst erobert zu haben! Welch niederträchtige Kleinkariertheit, ihn an<br />

den Busen seines Volkes zurückzustoßen, dem er sich schon so lange

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!