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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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Standpunkt aus gesehen werden.«<br />

Das brachte alle zum Schweigen.<br />

»Was«, sagte er mit einem kleinen, bedauernden Lächeln, »ist objektiv<br />

denn passiert? A: Widerrechtliche Festnahme, Einschüchterung, Gewalt.<br />

Zweitens: Ungesetzliche Verlängerung der Haft, dubiose medizinische<br />

Experimente im Krankenhaus« - zustimmendes Gemurmel an dieser<br />

Stelle, denn in den Anwesenden stiegen Erinnerungen an intravaginale<br />

Untersuchungen, Conterganskandale, nicht autorisierte postnatale<br />

Sterilisationen auf und, von noch weiter her, das Wissen, wie die Dritte<br />

Welt mit Pharmaprodukten überschwemmt wurde, so dass die<br />

Anspielungen des Vortragenden sich mit Inhalt füllten - man glaubt ja<br />

nur, was man gesehen hat, und zwar nicht nur, was zu sehen ist, sondern<br />

was man auch wirklich sehen will - und überhaupt, für die Hörner und<br />

Hufe musste es doch eine Erklärung geben; in diesen polizeilich<br />

bewachten Krankenhäusern war alles möglich - »und drittens«, fuhr<br />

Jumpy fort, »seelischer Zusammenbruch, Persönlichkeitsverlust,<br />

Handlungsunfähigkeit. Alles schon mal dagewesen.«<br />

Niemand widersprach, nicht einmal Hind; es gab Wahrheiten, die konnte<br />

man unmöglich leugnen. »Ideologisch«, sagte Jumpy, »lehne ich den<br />

Begriff Opfer ab. Er ist zwar zum Opfer gemacht worden, doch wir<br />

wissen, dass Machtmissbrauch teilweise auch die Schuld des Opfers ist;<br />

unsere Passivität begünstigt solche Verbrechen, ermöglicht sie.«<br />

Nachdem er dergestalt die Versammlung in schamrote Unterwerfung<br />

gescholten hatte, forderte er Sufyan auf, die kleine Dachkammer, die<br />

gegenwärtig nicht belegt war, zur Verfügung zu stellen; Sufyan<br />

wiederum sah sich, aus Solidarität und einem Gefühl der Schuld heraus,<br />

nicht imstande, auch nur einen Penny Miete zu verlangen. Hind - traurig,<br />

aber wahr - murrte:<br />

»Jetzt weiß ich, dass die Welt verrückt ist, da ein Teufel in meinem Haus<br />

absteigt«, aber sie murrte sehr leise, und nur ihre älteste Tochter Mishal<br />

hörte, was sie sagte.<br />

Auf einen Wink seiner jüngeren Tochter hin ging Sufyan zu Chamcha,<br />

der in seine Decke gehüllt enorme Mengen von Hinds unübertrefflicher<br />

Hühnersuppe aß, hockte sich daneben und legte einen Arm um den noch<br />

immer zitternden Unglücklichen. »Hier bist du gut aufgehoben«, sagte<br />

er, als spräche er zu einem Einfaltspinsel oder einem Kleinkind. »Wo

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