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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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unbedeutenden Ehemann zufriedengeben, während sie sich früher in der<br />

Würde seines Amtes hatte aalen können? Was war so ehrenvoll daran,<br />

für ihren, für seinen Lebensunterhalt aufkommen zu müssen, während<br />

sie früher in angemessenem Pomp zu Hause hatte herumsitzen können?<br />

Und sie spürte, ja, wie denn nicht, die Traurigkeit hinter seiner Jovialität,<br />

und auch das war eine Niederlage: noch nie hatte sie sich als Ehefrau so<br />

unzulänglich gefühlt, denn was ist das für eine Frau, die nicht imstande<br />

ist, ihren Ehemann fröhlich zu stimmen, sondern sich geheuchelter<br />

Zufriedenheit gegenübersieht, als ob alles bestens und in Ordnung wäre?<br />

Außerdem: sie waren in eine Teufelsstadt gekommen, in der alles<br />

passieren konnte; mitten in der Nacht wurden einem grundlos die<br />

Fensterscheiben eingeworfen, auf der Straße wurde man von<br />

unsichtbaren Händen gestoßen, in Geschäften so übel beschimpft, dass<br />

einem fast die Ohren abfielen, doch wandte man sich in die Richtung,<br />

aus der die Worte kamen, sah man nur Luft und freundliche Gesichter,<br />

und jeden Tag hörte man, dass dieser Junge, jenes Mädchen von<br />

Gespenstern verprügelt worden war. Ja, ein Land von Phantomkobolden,<br />

wie es erklären. Am besten, man ging nicht aus dem Haus, nicht einmal,<br />

um einen Brief einzuwerfen, sondern blieb daheim, verschloss die Tür<br />

und betete, dann würden sich die Kobolde (vielleicht) fernhalten. Gründe<br />

für die Niederlage? Baba, wer könnte sie zählen! Nicht nur war sie die<br />

Frau eines kleinen Restaurantbesitzers und eine Küchensklavin, auch auf<br />

ihr eigenes Volk konnte sie sich nicht mehr verlassen: Männer, die sie<br />

für noble, ehrenwerte Leute gehalten hatte, ließen sich telefonisch von<br />

ihren Frauen in der Heimat scheiden und liefen mit irgendeinem<br />

Flittchen davon, und Mädchen, wurden wegen ihrer Mitgift umgebracht<br />

(das eine oder andere Stück konnte man zollfrei ins Ausland schaffen);<br />

aber das Schlimmste war, dass das Gift dieser Teufelsinsel ihre beiden<br />

kleinen Töchter infiziert hatte, die sich weigerten, ihre Muttersprache zu<br />

sprechen, obwohl sie jedes Wort verstanden, sie taten es, um ihr weh zu<br />

tun; warum sonst hatte Mishal sich die Haare raspelkurz schneiden und<br />

in allen Regenbogenfarben färben lassen? Und täglich gab es Kampf,<br />

Streit, Ungehorsam.<br />

Und das Schlimmste: ihre Klagen waren immer dieselben, immer ging es<br />

um die gleichen Sachen, so war es eben für Frauen wie sie; sie war nicht<br />

mehr sie selbst, nicht mehr Hind, die Frau des Lehrers Sufyan; sie war in

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