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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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ausgezeichnet, köstlich.« Aus ganz London kamen die Leute, um ihre<br />

himmlischen Samosas, ihr Bombay Chaat, ihre paradiesischen Gulab<br />

Jamans zu essen. Was gab es für Sufyan zu tun? Kassieren, den Tee<br />

servieren, von hier nach dort laufen, sich trotz seiner Bildung wie ein<br />

<strong>Die</strong>ner benehmen. O doch, natürlich war er bei den Gästen beliebt, seine<br />

gewinnende Art ließ nie nach, aber in einem Restaurant ist es nicht die<br />

Konversation, für die man am Ende bezahlt. Jalebis, Barfi, Menü des<br />

Tages. Wie hatte sich alles verändert! Jetzt war sie der Chef. Sieg!<br />

Tatsache war aber auch, dass sie, Köchin und Ernährerin,<br />

verantwortliche Architektin des Erfolgs des Café Shaandaar - der sie<br />

schließlich in den Stand versetzt hatte, das ganze viergeschossige<br />

Gebäude zu kaufen und die Zimmer zu vermieten -, dass sie diejenige<br />

war, die den Pesthauch des Scheiterns ausatmete wie schlechten<br />

Mundgeruch. Während Sufyan noch immer funkelte, wirkte sie<br />

erloschen, wie eine Glühbirne mit gerissenem Faden, wie ein verglühter<br />

Stern, wie eine Flamme. Wieso? Warum, da doch Sufyan, dem Beruf,<br />

Schüler und Anerkennung versagt waren, herumtollte wie ein junges<br />

Lamm und sogar anfing, zuzunehmen, und im Großen London zulegte,<br />

was er zu Hause nie getan hatte; warum, da die Macht aus seinen Händen<br />

genommen und in die ihren gelegt war, benahm sie sich, wie ihr Mann es<br />

nannte, wie eine »Flasche«, »Trauerweide« und »trübe Tasse«? Ganz<br />

einfach: nicht trotz, sondern wegen. Ihre Wertvorstellungen waren dank<br />

der Veränderung durcheinandergeraten, in diesem Umstellungsprozess<br />

abhandengekommen.<br />

Ihre Sprache: jetzt, da sie diese fremdartigen Laute produzieren musste,<br />

die ihre Zunge ermüdeten, hatte sie da kein Recht, zu klagen? Ihr<br />

Zuhause: was half es ihr, dass sie jetzt, dank unternehmerischem<br />

Spürsinn, Erspartem und gastronomischem Geschick, dieses<br />

viergeschossige Gebäude bewohnten und nicht wie in Dacka in einer<br />

bescheidenen Lehrerwohnung lebten? Wo war jetzt die Stadt, in der sie<br />

sich auskannte? Wo das Dorf ihrer Kindheit und die grünen<br />

Wasserstraßen der Heimat? Auch die Sitten, nach denen sie ihr Leben<br />

eingerichtet hatte, waren verloren oder zumindest schwer zu finden.<br />

Niemand in diesem Vilayet hatte Zeit für die gemächlich-freundliche<br />

Lebensart, wie sie zu Hause üblich war, noch für die zahlreichen<br />

religiösen Vorschriften. Überdies: musste sie sich nicht mit einem

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