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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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flehentlichen Bitten aufgewartet hätte; da er aber nichts dergleichen tat,<br />

mampfte sie weiter und war es zufrieden, die Schuld für ihre Figur ganz<br />

allein ihm aufzuhalsen.<br />

Nachdem sie einmal angefangen hatte, ihm etwas vorzuwerfen, stellte sie<br />

selbstverständlich fest, dass es noch viele andere Dinge gab, für die sie<br />

ihn verantwortlich machen konnte. Sie fand auch ihre Sprache wieder, so<br />

dass in der bescheidenen Wohnung des Lehrers regelmäßig die Sorte<br />

Standpauke erdröhnte, die seinen Schülern zu halten er viel zu feige war.<br />

Beschimpft wurde er vor allem wegen seiner übertrieben hohen<br />

Prinzipien, dank derer er, wie Hind ihm vorhielt, ihr niemals gestatten<br />

würde, die Frau eines reichen Mannes zu werden; was ließ sich schon<br />

von einem Mann sagen, der, als er feststellte, dass ihm ein Monatsgehalt<br />

versehentlich doppelt gutgeschrieben wurde, diesen Irrtum prompt seiner<br />

Bank zur Kenntnis brachte und das Geld zurückgab? Welche Hoffnung<br />

bestand schon für einen Lehrer, der, angesprochen von den reichsten<br />

Eltern, sich schlankweg weigerte, für gewisse <strong>Die</strong>nste beim Korrigieren<br />

der Arbeiten ihres Kindes die übliche Zuwendung zu akzeptieren?<br />

»Aber all das könnte ich verzeihen«, pflegte sie düster zu murren und<br />

ließ den Rest des Satzes, wenn da nicht deine beiden wahren Vergehen<br />

wären, deine sexuellen und politischen Verbrechen, unausgesprochen.<br />

Seit ihrer Heirat hatten sie den Geschlechtsakt nur selten vollzogen, in<br />

vollständiger Dunkelheit, lautlos, so dass man eine Stecknadel hätte zu<br />

Boden fallen hören, und fast völlig bewegungslos. Nie wäre es Hind<br />

eingefallen, sich zu regen und zu rühren, und da Sufyan die Sache mit<br />

einem Minimum an Bewegung hinter sich zu bringen schien, ging sie<br />

davon aus, war immer davon ausgegangen, dass sie beide in Bezug auf<br />

diese Angelegenheit der gleichen Meinung waren, das heißt, dass es eine<br />

schmutzige Sache war, über die man weder vorher noch hinterher sprach<br />

und der man im währenden keine Beachtung schenkte. Dass die Kinder<br />

erst nach einiger Zeit kamen, nahm sie als Gottesurteil hin, denn nur er<br />

allein wusste von den Sünden ihres bisherigen Lebens; die Schuld dafür,<br />

dass es beide Male Mädchen waren, gab sie nicht Allah, sondern dem<br />

kraftlosen Samen, den sie von ihrem unmännlichen Gemahl empfangen<br />

hatte, eine Haltung, der sie mit großem Nachdruck und zum Erschrecken<br />

der Hebamme just während der Geburt der kleinen Anahita Ausdruck<br />

verlieh. »Noch ein Mädchen«, stöhnte sie angewidert. »Na ja, wenn ich

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