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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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in Ruhe gelassen werden, um sein eigenes Schicksal zu finden; mit<br />

Männern wie ihm war nicht gut streiten.<br />

Bei Sonnenuntergang waren die Dörfler abreisebereit, und der Sarpanch<br />

forderte alle auf, sich in den frühen Morgenstunden zum Gebet zu<br />

erheben, so dass sie direkt danach aufbrechen und somit der schlimmsten<br />

Hitze des Tages entgehen konnten. Als er sich in dieser Nacht auf seine<br />

Matte neben die alte Khadija gelegt hatte, murmelte er: »Endlich. Ich<br />

wollte schon immer die Kaaba sehen und sie umrunden, bevor ich<br />

sterbe.« Und sie griff von ihrer Matte aus nach seiner Hand.<br />

»Auch ich habe es erhofft, gegen jede Hoffnung«, sagte sie.<br />

»Wir werden gemeinsam durch die Wasser gehen.«<br />

Mirza Said, den der Anblick des packenden Dorfes in ohnmächtige Wut<br />

versetzt hatte, stürmte, ohne Umstände zu machen, in die Gemächer<br />

seiner Frau. »Du solltest mal sehen, was da los ist, Mishu«, rief er, wild<br />

mit den Armen fuchtelnd.<br />

»Ganz Titlipur hat den Verstand verloren und will zum Meer wandern.<br />

Was soll mit den Häusern passieren, mit den Feldern? Das bedeutet den<br />

Ruin. Dahinter stecken bestimmt politische Agitatoren. Irgendwer hat<br />

irgendwen bestochen.<br />

Glaubst du, dass sie hierbleiben und sich wie vernünftige Menschen<br />

verhalten werden, wenn ich ihnen Geld anbiete?«<br />

Seine Stimme versiegte. Aischa war im Zimmer.<br />

»Du Mistweib«, verfluchte er sie. Sie saß mit gekreuzten Beinen auf dem<br />

Bett, während Mishal und ihre Mutter auf dem Boden hockten, ihre<br />

Habseligkeiten durchsahen und ausrechneten, mit wie wenig sie auf der<br />

Pilgerfahrt auskommen konnten.<br />

»Du wirst nicht gehen«, tobte Mirza Said. »Ich verbiete es dir, der Teufel<br />

allein weiß, mit welchem Bazillus diese Hure die Dorfbewohner<br />

angesteckt hat, aber du bist meine Frau, und ich weigere mich, dich bei<br />

diesem selbstmörderischen Unternehmen mitmachen zu lassen.«<br />

»Schöne Worte«, lachte Mishal bitter. »Was für schöne Worte du<br />

gewählt hast, Said. Du weißt, dass ich nicht leben kann, aber du sprichst<br />

von Selbstmord. Said, hier geht etwas vor sich, und du mit deinem<br />

importierten europäischen Atheismus weißt nicht, was es ist. Oder<br />

vielleicht wüsstest du’s, wenn du einmal unter deinen englischen<br />

Anzugsstoffen nachsehen und versuchen würdest, dein Herz zu finden.«

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