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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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Aischa war die Rechtfertigung der lange schon schal gewordenen<br />

Hoffnung, die sie mit der Rückkehr der Schmetterlinge verbunden<br />

hatten, und der Beweis, dass in diesem Leben noch große Dinge<br />

geschehen konnten, selbst für die Schwächsten und Ärmsten im Land.<br />

»Der Engel hat sie weggebracht«, staunte Khadija, die Frau des<br />

Sarpanch, und Osman brach in Tränen aus. »Aber nein, das ist doch<br />

etwas Wunderbares«, erklärte die alte Khadija verständnislos. <strong>Die</strong><br />

Dörfler machten sich über den Sarpanch lustig: »Wie du mit einer so<br />

taktlosen Frau Dorfoberhaupt geworden bist, ist uns ein Rätsel.«<br />

»Ihr habt mich gewählt«, entgegnete er mürrisch.<br />

Am siebten Tag nach ihrem Verschwinden wurde Aischa gesichtet, wie<br />

sie aufs Dorf zukam, wieder nackt und in goldene Schmetterlinge<br />

gekleidet; ihr silbernes Haar wehte hinter ihr im Wind. Sie begab sich<br />

geradewegs zum Hause des Sarpanch Muhammad Din und bat ihn,<br />

sofort den Panchayat von Titlipur zu einer dringlichen Sondersitzung<br />

einzuberufen. »Das größte Ereignis in der Geschichte des Baums ist über<br />

uns gekommen«, vertraute sie ihm an. Und Muhammed Din, der sie<br />

nicht abweisen konnte, setzte die Zeit für das Treffen auf den selben Tag<br />

nach Einbruch der Dunkelheit an.<br />

An diesem Abend nahmen die Mitglieder des Panchayat ihre Plätze auf<br />

dem üblichen Ast des Baums ein, während Aischa, die Kahin, vor ihnen<br />

auf dem Boden stand. »Ich bin mit dem Engel in höchste Höhen<br />

geflogen«, sagte sie. »Ja, selbst zum Lotusbaum am äußersten Rand. Der<br />

Erzengel Gibril: er hat uns eine Botschaft gebracht, die auch ein Befehl<br />

ist. Alles wird von uns verlangt, und alles wird gegeben.«<br />

Nichts im Leben hatte den Sarpanch Muhammad Din auf die<br />

Entscheidung vorbereitet, vor die er sich gleich gestellt sehen sollte.<br />

»Was verlangt denn der Engel, Tochter Aischa?« fragte er, darum<br />

bemüht, seine Stimme unter Kontrolle zu bringen.<br />

»Es ist der Wille des Engels, dass wir alle, Männer, Frauen und Kinder<br />

im Dorf, uns sofort auf eine Pilgerreise vorbereiten.<br />

Uns ist befohlen, von diesem Ort aus nach Mekka Sharif zu gehen, um<br />

den Schwarzen Stein in der Kaaba im Zentrum der Haram Sharif, der<br />

heiligen Moschee, zu küssen. Dorthin müssen wir gehen.«<br />

Daraufhin begann der Fünferrat hitzig zu debattieren. Es galt, die Ernte<br />

zu bedenken und die Unmöglichkeit, das Heimatdorf in Scharen zu

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