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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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ewusstlos. Sie fiel zu Boden, blutete, aus dem Mund: ein Zahn hatte<br />

sich durch seinen Faustschlag gelockert. Und während sie dalag,<br />

schleuderte Mrs. Qureishi ihrem Schwiegersohn alle möglichen<br />

Schimpfworte an den Kopf. »O Gott, ich habe meine Tochter einem<br />

Mörder anvertraut. O Gott, ein Mann, der Frauen schlägt.<br />

Na los, schlag mich auch, damit du in der Übung bleibst.<br />

Heiligenschänder, Gotteslästerer, Teufel, Unreiner.« Said verließ den<br />

Raum, ohne ein Wort zu sagen.<br />

Am nächsten Tag bestand Mishal Akhtar darauf, in die Stadt<br />

zurückzukehren, um sich von Kopf bis Fuß untersuchen zu lassen. Said<br />

machte ihr seinen Standpunkt klar. »Wenn du dem Aberglauben frönen<br />

willst, dann geh, aber erwarte nicht, dass ich mitkomme. <strong>Die</strong> Fahrt<br />

dauert acht Stunden, zum Teufel.«<br />

Noch am selben Nachmittag fuhr Mishal mit ihrer Mutter und dem<br />

Chauffeur los, und infolgedessen war Mirza Said nicht da, wo er hätte<br />

sein sollen, das heißt, an der Seite seiner Frau, als ihr die Ergebnisse der<br />

Tests bekanntgegeben wurden: positiv, inoperabel, zu weit<br />

fortgeschritten, die Klauen des Krebs tief in ihre ganze Brust geschlagen.<br />

Ein paar Monate noch, sechs, wenn sie Glück hatte, und vorher, bald, die<br />

Schmerzen. Mishal kehrte nach Peristan zurück und begab sich direkt in<br />

ihre Räume, wo sie ihrem Mann einen formellen Brief auf<br />

lavendelfarbenem Papier schrieb und ihm die ärztliche Diagnose<br />

mitteilte. Als er ihr eigenhändig geschriebenes Todesurteil las, wäre er<br />

am liebsten in Tränen ausgebrochen, aber seine Augen blieben trocken.<br />

Viele Jahre lang hatte er keine Zeit für das Höchste Wesen gehabt, aber<br />

nun tauchten plötzlich ein paar von Aischas Sätzen in seinem Kopf auf.<br />

Gott wird dich retten. Alles wird gegeben werden. Dann kam ihm ein<br />

bitterer, abergläubischer Gedanke. »Es ist ein Fluch«, dachte er. »Weil<br />

ich Aischa begehrt habe, ermordet sie meine Frau.«<br />

Als er vor den Frauengemächern ankam, weigerte sich Mishal, ihn zu<br />

sehen, aber ihre Mutter, die ihm die Tür versperrte, reichte ihm eine<br />

zweite Nachricht auf parfümiertem blauen Briefpapier. »Ich möchte<br />

Aischa sehen«, stand darauf.<br />

»Bitte gestatte mir dies.« Mirza Said senkte den Kopf, gab seine<br />

Zustimmung und schlich beschämt von dannen.

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