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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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Mishal und Aischa mit gekreuzten Beinen auf dem Bett saßen, einander<br />

zugewandt, graue Augen in graue Augen starrten, und Mishals Gesicht in<br />

Aischas ausgestreckten Händen ruhte.<br />

Wie sich herausstellte, hatte der Erzengel Aischa mitgeteilt, dass die<br />

Frau des Zamindar unheilbar an Krebs erkrankt war, dass ihre Brüste<br />

voll waren von den bösartigen Knötchen des Todes und dass sie nur noch<br />

ein paar Monate zu leben hatte.<br />

Dass der Krebs genau an dieser Stelle ausgebrochen war, betrachtete<br />

Mishal als Beweis für die Grausamkeit Gottes, denn nur einer boshaften<br />

Gottheit konnte es einfallen, Krebs in der Brust einer Frau entstehen zu<br />

lassen, deren einziger Traum es war, neues Leben zu nähren. Als Said<br />

eintrat, hatte Aischa Mishal eindringlich zugeflüstert: »So darfst du nicht<br />

denken.<br />

Gott wird dich retten. <strong>Die</strong>s ist eine Glaubensprüfung.«<br />

Mrs. Qureishi verkündete Mirza Said die schlimme Nachricht mit viel<br />

Gekreisch und Geheul, und für den verwirrten Zamindar war dies der<br />

Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Er geriet in Wut und<br />

begann, laut zu schreien und zu zittern, als würde er im nächsten<br />

Moment die Möbel im Raum mitsamt den Bewohnern kurz und klein<br />

schlagen.<br />

»Zur Hölle mit deinem Krebs-Gespenst«, schrie er Aischa in seiner<br />

Verzweiflung an. »Du bist mit deinem Wahnsinn und deinen Engeln in<br />

mein Haus gekommen und hast Gift in die Ohren meiner Familie<br />

geträufelt. Verschwinde von hier mit deinen Visionen und deinem<br />

unsichtbaren Ehemann. Das hier ist die moderne Welt, und es sind Ärzte<br />

und keine Geister in Kartoffelfeldern, die uns sagen, ob wir krank sind.<br />

Du hast dieses verfluchte Spektakel für nichts und wieder nichts<br />

veranstaltet. Verschwinde und lasse dich nie wieder auf meinem Land<br />

blicken.«<br />

Aischa ließ ihn ausreden, ohne Blick und Hände von Mishal zu nehmen.<br />

Als Said innehielt, um Luft zu holen, und dabei Fäuste ballte und<br />

öffnete, sagte sie leise zu seiner Frau: »Alles wird von uns verlangt<br />

werden, und alles wird gegeben werden.«<br />

Als er diese Formel hörte, die die Leute im Dorf schon nachzubeten<br />

begannen, als wüssten sie, was sie bedeutete, verlor Mirza Said Akhtar<br />

für einen Augenblick den Verstand, hob die Hand und schlug Aischa

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