10.12.2012 Aufrufe

Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

sieben Generationen war hier auch die Verweichlichung<br />

vorangeschritten. Er ging auf den Korridor, wo seine Vorfahren<br />

unheilvoll in vergoldeten Rahmen hingen, und betrachtete nachdenklich<br />

den Spiegel, den er an den letzten freien Platz gehängt hatte, zur<br />

ständigen Erinnerung daran, dass auch er eines Tages an dieser Wand<br />

enden würde. Er war ein Mann ohne raue Ecken und scharfe Kanten;<br />

sogar seine Ellbogen waren mit Fleischpölsterchen bedeckt. Im Spiegel<br />

sah er den dünnen Schnurrbart, das kaum entwickelte Kinn, die mit Paan<br />

befleckten Lippen. Backen, Nase, Stirn: alles weich, weich, weich. »Was<br />

soll denn überhaupt jemand an mir finden?« rief er, und als ihm klar<br />

wurde, dass er laut mit sich selbst gesprochen hatte, wusste er, wie<br />

aufgewühlt er sein musste und daher verliebt, krank vor Liebe wie ein<br />

Hund, und dass diese heftigen Gefühle nicht länger seiner liebenden<br />

Ehefrau galten.<br />

»Ach, was bin ich doch für ein elender, oberflächlicher, gemeiner,<br />

verlogener Kerl«, seufzte er vor sich hin, »dass ich mich so sehr und so<br />

schnell verändern kann. Ich sollte einfach Schluss machen, das wäre das<br />

Beste.« Aber er war nicht der Typ, der sich ins Schwert stürzte. Statt<br />

dessen schlenderte er eine Weile durch die Flure von Peristan, ließ sich<br />

von der Atmosphäre des Hauses verzaubern und war schon bald wieder<br />

einigermaßen gutgelaunt.<br />

Das Haus: trotz seines Elfennamens war es ein stabiles, eher nüchternes<br />

Gebäude und nur deswegen exotisch, weil es im falschen Land stand.<br />

Vor sieben Generationen war es von einem gewissen Perowne erbaut<br />

worden, einem englischen Architekten, der bei der Kolonialverwaltung<br />

in hohem Ansehen stand und der seine Häuser stets im neo-klassischen<br />

englischen Landhausstil entwarf. Zu jener Zeit waren die Zamindars<br />

verrückt nach europäischer Architektur gewesen.<br />

Saids Ururururgroßvater hatte den Architekten bei einem Empfang des<br />

Vizekönigs kennengelernt und ihn schon nach fünf Minuten engagiert,<br />

um öffentlich zu zeigen, dass nicht alle indischen Moslems das<br />

Vorgehen der Meerut-Soldaten unterstützt oder mit den nachfolgenden<br />

Aufständen sympathisiert hatten, nein, keinesfalls; und hatte ihm dann<br />

Blankovollmacht erteilt; und so stand Peristan nun hier, inmitten<br />

fasttropischer Kartoffelfelder und neben dem großen Banyanbaum,<br />

überwuchert von Bougainvillea, mit Schlangen in der Küche und

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!