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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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Der Angriff seiner Schwiegermutter löste einen der regelmäßigen<br />

Anfälle von Selbstvorwürfen aus, die Mirza Said das Leben schwer<br />

machten, seit er Mishal dazu überredet hatte, hinter dem Purdah zu<br />

bleiben. Um Trost zu finden, ließ er sich nieder und las eine Geschichte<br />

von Tagore, Gbare-Baire, in der ein Zamindar seine Frau dazu überredet,<br />

hinter dem Purdah vorzukommen, woraufhin sie sich mit einem<br />

radikalen Aufrührer einlässt, der in die »Swadeshi«-Kampagne<br />

verwickelt ist, und der Zamindar am Ende mit dem Leben büßt. <strong>Die</strong><br />

Lektüre heiterte ihn für einen Moment auf, doch dann kehrte sein<br />

Argwohn zurück. Entsprachen die Gründe, die er seiner Frau genannt<br />

hatte, auch wirklich der Wahrheit? Oder hatte er damit nur einen Weg<br />

gesucht, sich freie Bahn zu verschaffen für seine Jagd auf die Madonna<br />

der Schmetterlinge, die Epileptikerin Aischa? »Freie Bahn«, dachte er,<br />

und sah Mrs.<br />

Qureishi vor sich, wie sie ihn mit Argusaugen beobachtete, »so ein<br />

Quatsch.« Aber gleich darauf widersprach er sich. War nicht die<br />

Anwesenheit seiner Schwiegermutter gerade ein Beweis für seine<br />

ehrlichen Absichten? Hatte er Mishal denn nicht zugeredet, sie kommen<br />

zu lassen, obwohl er genau wusste, dass der alte Fettkloß ihn nicht leiden<br />

konnte und ihn jeder erdenklichen Arglist auf Erden bezichtigte? »Wäre<br />

ich so darauf erpicht gewesen, dass sie herkommt, wenn ich ein<br />

Techtelmechtel geplant hätte?« fragte er sich. Aber die inneren Stimmen<br />

nörgelten weiter: »<strong>Die</strong>se ganze neue Sinnlichkeit, das frisch erwachte<br />

sexuelle Interesse an deinem Weibe, ist nichts weiter als Übertragung.<br />

In Wirklichkeit sehnst du dich danach, dass dein Bauernflittchen kommt<br />

und mit dir rumflittert.«<br />

Schuldgefühle gaben dem Zamindar stets die Gewissheit, ein völlig<br />

wertloser Mensch zu sein, und so kamen ihm in seinem Unglück die<br />

Beleidigungen seiner Schwiegermutter wie die reine Wahrheit vor.<br />

»Weichling«, nannte sie ihn, und während er in seinem Arbeitszimmer<br />

saß, umgeben von Bücherschränken, in denen sich zufriedene Würmer<br />

durch Sanskrit-Texte von unschätzbarem Wert fraßen, wie sie noch nicht<br />

einmal in den Landesarchiven zu finden waren, oder durch die weniger<br />

erhebenden Gesammelten Werke von Percy Westerman, G. A. Henty<br />

und Dornford Yates, gestand sich Mirza Said ein, jawohl, seht alle her,<br />

ich bin ein Weichling. Das Haus war sieben Generationen alt, und seit

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