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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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Alterslosigkeit erlangt, denn ihr Haar war so weiß wie Schnee geworden,<br />

während ihre Haut die strahlende Vollkommenheit der Haut eines<br />

neugeborenen Kindes zurückgewonnen hatte, und obgleich sie völlig<br />

nackt war, hatten sich Schmetterlinge in so dicken Schwärmen auf ihr<br />

niedergelassen, dass sie ein Kleid aus dem feinsten Material der Welt zu<br />

tragen schien. Osman der Clown probte gerade mit dem<br />

Bum-Bum-Ochsen in der Nähe des Feldwegs, denn obwohl ihre lange<br />

Abwesenheit ihn vor Sorgen krank gemacht hatte und er die ganze<br />

vergangene Nacht auf der Suche nach ihr gewesen war, musste er<br />

dennoch seinen Lebensunterhalt verdienen. Als er sie erblickte, wurde<br />

der junge Mann, der nie einen Gott geachtet hatte, weil er als<br />

Unberührbarer geboren war, von heiligem Schrecken erfüllt und wagte<br />

es nicht, sich dem Mädchen zu nähern, in das er so hoffnungslos verliebt<br />

war.<br />

Sie begab sich in ihre Hütte und schlief einen Tag und eine Nacht, ohne<br />

zu erwachen. Dann suchte sie das Dorfoberhaupt auf, den Sarpanch<br />

Muhammad Din, und teilte ihm mit nüchternen Worten mit, dass ihr der<br />

Erzengel Gibril in einer Vision erschienen sei und sich neben ihr zur<br />

Ruhe gelegt habe.<br />

»Etwas Großes ist über uns gekommen«, teilte sie dem beunruhigten<br />

Sarpanch mit, der bislang mehr mit Kartoffelkontingenten als mit<br />

Transzendenz zu tun gehabt hatte. »Alles wird von uns verlangt werden,<br />

und alles wird uns auch gegeben werden.«<br />

In einem anderen Teil des Baums tröstete Khadija, die Frau des<br />

Sarpanch, einen weinenden Clown, der es nur schwer hinnehmen konnte,<br />

dass er seine geliebte Aischa an ein höheres Wesen verloren hatte, denn<br />

wenn ein Erzengel sich zu einer Frau legt, ist sie den Männern für immer<br />

verloren. Khadija war alt und vergesslich und häufig ungeschickt, wenn<br />

sie versuchte, liebevoll zu sein, und sie konnte Osman nur leeren Trost<br />

geben:<br />

»<strong>Die</strong> Sonne geht immer dann unter, wenn der Tiger zu fürchten ist«,<br />

zitierte sie das alte Sprichwort: schlechte Nachrichten kommen immer<br />

auf einmal.<br />

Schon bald, nachdem die Geschichte von dem Wunder durchgesickert<br />

war, wurde das Mädchen Aischa zu dem großen Haus bestellt, und in<br />

den folgenden Tagen verbrachte sie lange Stunden hinter verschlossenen

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