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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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Stellvertretern ausfechten lässt, ihn genauso bereitwillig opfern wird wie<br />

die Menschen vor dem Palasttor, dass er, Gibril, ein Selbstmord-Soldat<br />

im <strong>Die</strong>nste des Klerus ist. Ich bin schwach, denkt er, ich bin kein Gegner<br />

für sie, aber auch sie ist durch ihre Niederlage geschwächt. <strong>Die</strong> Kraft des<br />

Imam treibt Gibril an, legt ihm Donner und Blitz in die Hände, und der<br />

Kampf beginnt; er schleudert Blitze in ihre Beine, und sie jagt Kometen<br />

in seine Leisten, wir töten einander, denkt er, wir werden sterben, und<br />

dann wird es zwei neue Sternbilder am Himmel geben, Al-Lat und<br />

Gibril. Wie erschöpfte Krieger auf einem leichenübersäten Feld wanken<br />

sie und schlagen aufeinander ein. Beiden schwinden schnell die Kräfte.<br />

Sie fällt.<br />

Hinab stürzt sie, Al-Lat, Königin der Nacht; kracht kopfüber auf die<br />

Erde, ihr Schädel wird zermalmt; da liegt sie, ein Häuflein<br />

zerschmetterter Glieder, an einem kleinen Gatter im Palastgarten, ein<br />

kopfloser schwarzer Engel mit abgerissenen Flügeln. Und Gibril, der<br />

sich mit Entsetzen von diesem Anblick abwendet, sieht, wie der Imam<br />

ins Ungeheuerliche gewachsen ist, wie er im Vorhof des Palastes mit<br />

aufgerissenem Maul hinter den Toren liegt; sowie Menschen durch die<br />

Tore marschieren, verschlingt er sie mit Haut und Haar.<br />

Al-Lats Leib ist auf dem Gras geschrumpft, hat nur einen dunklen Fleck<br />

hinterlassen; und jetzt beginnen alle Glocken in Desch zu läuten, und<br />

hören nicht auf, zwölf Schläge, vierundzwanzig Schläge, tausendundein<br />

Schlag, und hören nicht auf, verkünden das Ende der Zeit, die Stunde,<br />

die jenseits allen Bemessens ist, die Stunde der Rückkehr des<br />

Verbannten aus dem Exil, des Sieges von Wasser über Wein, den Beginn<br />

der Unzeit des Imam.<br />

Wenn die nächtliche Geschichte ihre Gestalt ändert, wenn ohne<br />

Vorwarnung der Verlauf der Ereignisse in Jahilia und Yathrib von den<br />

Kampfszenen zwischen Imam und Kaiserin abgelöst wird, hofft Gibril<br />

für kurze Zeit, dass der Fluch aufgehoben ist, dass seine Träume wieder<br />

exzentrische Zufallsprodukte des normalen Lebens geworden sind; dann<br />

aber, da auch die neue Geschichte in das alte Muster verfällt, das heißt,<br />

immer dann, wenn er einschläft, an genau dem Punkt weitergeht, an dem<br />

sie unterbrochen wurde, und da sein eigenes Abbild, in ein Avatara des<br />

Erzengels verwandelt, wieder die Szene betritt, stirbt seine Hoffnung,<br />

und er beugt sich erneut dem Unumstößlichen. Der Punkt ist gekommen,

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