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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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unsere. Aber im Hause der Macht erzogen zu werden, heißt, ihre<br />

Methoden zu erlernen, sie aufzusaugen, durch eben diese Haut, die der<br />

Grund für deine Unterdrückung ist. <strong>Die</strong> Gewohnheiten der Macht, ihr<br />

Timbre, ihre Haltung, ihre Art, mit Menschen umzugehen. Es ist eine<br />

Krankheit, Bilal, die jeden ansteckt, der ihr zu nahe kommt.<br />

Wenn die Mächtigen über dich hinwegtrampeln, stecken sie dich noch<br />

durch ihre Fußsohlen an.<br />

Bilal spricht weiter in die Dunkelheit. »Tod der Kaiserin Aischa und<br />

ihrer Tyrannei, dem Kalender, den Vereinigten Staaten, der Zeit! Wir<br />

suchen die Ewigkeit, die Zeitlosigkeit Gottes. Seine stillen Wasser, nicht<br />

ihren strömenden Wein.«<br />

Verbrennt die Bücher und vertraut dem BUCH; zerreißt die Papiere und<br />

hört das WORT, wie es der Engel Gibril dem Verkünder Mahound<br />

offenbart und wie es euer Deuter und Imam erläutert hat. »Amen«, sagt<br />

Bilal und beschließt damit die nächtliche Veranstaltung. Während der<br />

Imam in seinem Allerheiligsten eine eigene Botschaft aussendet: eine<br />

Anrufung, eine Beschwörung des Erzengels Gibril.<br />

Er sieht sich selbst in dem Traum: so stellt man sich keinen Engel vor;<br />

das ist nur ein Mann in gewöhnlicher Straßenkleidung, in Henry<br />

Diamonds posthum weitergegebenen Kleidungsstücken:<br />

Gabardinemantel und Filzhut, darunter übergroße Hosen, von<br />

Hosenträgern gehalten, ein Anglerpullover aus Wolle, ein bauschiges<br />

weißes Hemd.<br />

<strong>Die</strong>ser Traum-Gibril, der so sehr dem wachenden Gibril gleicht, steht<br />

zitternd im Allerheiligsten des Imam, dessen Augen weiß wie Wolken<br />

sind.<br />

Gibril spricht in nörgelndem Ton, um seine Angst zu verbergen.<br />

»Warum bestehen Sie auf einem Erzengel? Sie sollten doch wissen, dass<br />

die Zeiten vorbei sind.«<br />

Der Imam schließt die Augen, seufzt. Der Teppich streckt lange, haarige<br />

Ranken aus, die sich um Gibril wickeln, ihn festhalten.<br />

»Sie brauchen mich nicht«, betont Gibril. »<strong>Die</strong> Offenbarung ist<br />

vollendet. Lassen Sie mich gehen.«<br />

Der andere schüttelt den Kopf und spricht, nur dass seine Lippen sich<br />

nicht bewegen, und es ist Bilals Stimme, die Gibrils Ohren erfüllt,<br />

obgleich der Rundfunksprecher nirgendwo zu sehen ist, heute Nacht ist

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