10.12.2012 Aufrufe

Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Nummer aber noch nicht bekommen. Als sie zwei Tage später mitgeteilt<br />

wurde und es dieselbe war wie in dem Brief, fielen Mahmud sofort<br />

sämtliche Haare aus. Und als er sie auf seinem Kissen liegen sah, faltete<br />

er die Hände und flehte Renata an: »Baby, ich liebe dich, aber du bist zu<br />

heiß für mich, bitte geh woanders hin, weit weg.« Als dem Imam diese<br />

Geschichte erzählt wurde, schüttelte er den Kopf und sagte, diese Hure,<br />

wer wird sie jetzt noch berühren wollen, trotz ihres lustspendenden<br />

Leibes? Sie hat sich einen Makel zugefügt, der noch schlimmer ist als<br />

Lepra; auf diese Weise verstümmeln sich die Menschen selbst. Doch die<br />

wahre Moral dieser Fabel war die Notwendigkeit ewiger Wachsamkeit.<br />

London war eine Stadt, in der der Ex-SAVAK-Chef hervorragende<br />

Kontakte zur Telefongesellschaft besaß und der Ex-Koch des Schahs in<br />

Hounslow ein gutgehendes Restaurant betrieb. Eine so einladende Stadt,<br />

ein solcher Zufluchtsort, die nehmen wirklich jeden. Lasst die Vorhänge<br />

zugezogen.<br />

<strong>Die</strong> Stockwerke drei bis fünf in diesem Mietshaus sind im Augenblick<br />

alles, was der Imam an Heimat besitzt. Hier sind die Gewehre und<br />

Kurzwellenradios und die Zimmer, in denen die cleveren jungen Männer<br />

in Anzügen sitzen und mit eindringlicher Stimme in verschiedene<br />

Telefone sprechen. Hier gibt es keinen Alkohol, Spielkarten und Würfel<br />

sind nirgendwo zu sehen, und die einzige Frau ist die, die im<br />

Schlafzimmer des alten Mannes an der Wand hängt. In diesem<br />

Heimatlandersatz, den der schlaflose Heilige als sein Wartezimmer<br />

ansieht, ist die Zentralheizung Tag und Nacht voll aufgedreht, sind die<br />

Fenster fest geschlossen. Was der Mann im Exil nicht vergessen kann<br />

und daher simulieren muss, ist die trockene Hitze von Desch, dem<br />

einstigen und zukünftigen Land, wo selbst der Mond heiß ist und tropft<br />

wie ein frisch gebuttertes Chapati. Oh, dieses Land der Sehnsucht, wo<br />

Sonne und Mond männlich sind, ihr heißes, süßes Licht aber weibliche<br />

Namen trägt. Nachts schiebt der Mann im Exil die Vorhänge zur Seite,<br />

und das fremdländische Mondlicht schleicht sich ins Zimmer, bohrt sich<br />

mit Eiseskälte in seine Augäpfel, wie ein Nagel. Er zuckt zusammen,<br />

verengt die Augen zu Schlitzen. Im losen Gewand, mit gerunzelter Stirn,<br />

unheilverkündend, wach: das ist der Imam.<br />

Das Exil ist ein seelenloses Land. Im Exil sind die Möbel hässlich, teuer,<br />

alle zur selben Zeit im selben Laden und in zu großer Eile gekauft;

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!