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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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Selbst die Serien-Träume wandern jetzt hin und her; sie kennen die Stadt<br />

besser als er. Und nach den Erlebnissen mit Rosa und Rekha werden die<br />

Traum-Welten seines anderen Ichs als Erzengel allmählich genauso real<br />

wie die ständig wechselnden Wirklichkeiten, in denen er lebt, wenn er<br />

wach ist.<br />

<strong>Die</strong>se kommt zum Beispiel seit neuestem zu ihm: ein<br />

hochherrschaftlicher Häuserblock, holländischer Stil, in einer Gegend<br />

von London, die er später als Kensington kennenlernen wird, zu dem ihn<br />

der Traum in schnellem Fluge bringt: vorbei an Barkers Kaufhaus und<br />

dem kleinen grauen Haus mit den Doppelfenstern, wo Thackeray<br />

Jahrmarkt der Eitelkeiten schrieb, und dem Platz mit dem Kloster, wo<br />

immer kleine Mädchen in Uniformen hineingehen, aber nie eines<br />

herauskommt, und dem Haus, in dem Talleyrand im Alter lebte, offiziell<br />

in der Rolle des französischen Botschafters in London, nachdem er,<br />

gleich einem Chamäleon, tausendundeinmal Parteien und Prinzipien<br />

gewechselt hatte, und endlich zu einem siebenstöckigen Eckhaus mit<br />

grünen, schmiedeeisernen Balkonen bis hinauf zum vierten Stock, und<br />

jetzt treibt der Traum ihn die Außenwand des Hauses hoch, und im<br />

vierten Stock schiebt er die schweren Vorhänge des<br />

Wohnzimmerfensters zur Seite, und schließlich sitzt er da, wie<br />

gewöhnlich schlaflos, die Augen weit aufgerissen in dem schwachen<br />

gelben Licht, und starrt in die Zukunft, der bärtige, beturbante Imam.<br />

Wer ist er? Ein Verbannter, ein Mann im Exil. Nicht zu verwechseln,<br />

nicht in einen Topf zu werfen mit all den anderen Worten, mit denen die<br />

Leute so um sich werfen: Emigrant, Asylant, Flüchtling, Immigrant,<br />

Schweigen, Schlauheit. Das Exil ist ein Traum von der glorreichen<br />

Rückkehr. Das Exil ist eine Vision von der Revolution: Elba, nicht St.<br />

Helena. Es ist ein unendliches Paradox: der Blick nach vorn durch den<br />

ewigen Blick zurück. Das Exil ist ein Ball, der hoch in die Luft<br />

geschleudert wird. Und dort hängenbleibt: gefroren in der Zeit<br />

verwandelt in eine Fotografie, eine aufgehobene Bewegung; in<br />

unmöglicher Position über seiner heimatlichen Erde, wartet er auf den<br />

unvermeidlichen Augenblick, wenn die Fotografie sich bewegen und die<br />

Erde ihr Eigentum zurückfordern muss. <strong>Die</strong>s sind die Gedanken des<br />

Imam. Sein Zuhause ist eine Mietwohnung. Sie ist ein Warteraum, eine<br />

Fotografie, Luft. <strong>Die</strong> dicke Tapete - olivgrüne Streifen auf

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