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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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Gibril äußerte seine Glückwünsche und hoffte auf anschließende Ruhe,<br />

aber jetzt ließ Maslama seine Bombe platzen. »Sie brauchen mir nichts<br />

über sich zu erzählen«, sagte er jovial. »Natürlich weiß ich, wer Sie sind,<br />

selbst wenn man nicht erwartet, eine so bedeutende Persönlichkeit auf<br />

der Strecke Eastbourne - Victoria zu treffen.« Er zwinkerte anzüglich<br />

und legte einen Finger an die Nase. »Diskretion Ehrensache. Ich<br />

respektiere das Privatleben eines jeden Menschen, das ist gar keine<br />

Frage, überhaupt keine Frage.«<br />

»Ich? Wer bin ich?« Gibril war völlig perplex. Der andere nickte<br />

gewichtig; seine Augenbrauen bewegten sich wie biegsame Geweihe.<br />

»Das ist meiner Meinung nach die Preisfrage. Sir, es sind schwierige<br />

Zeiten für einen Menschen mit Moral. Wenn ein Mensch nicht sicher ist,<br />

was sein innerstes Wesen ausmacht, wie soll er dann wissen, ob er gut<br />

oder schlecht ist? Aber Sie finden mich bestimmt langweilig. Ich<br />

beantworte meine eigenen Fragen durch meinen Glauben an das Eine,<br />

Sir -« hier deutete Maslama hoch zur Decke des Eisenbahnabteils, »und<br />

natürlich sind Sie sich überhaupt nicht im unklaren über Ihre Identität,<br />

denn Sie sind der berühmte, um nicht zu sagen legendäre Mr. Gibril<br />

Farishta, Star der Leinwand und zunehmend, wie ich leider hinzufügen<br />

muss, auch der Raubkopien; meine zwölf Kinder, meine Frau und ich<br />

sind alle eingefleischte, hundertprozentige Bewunderer Ihrer göttlichen<br />

Heldenepen.« Er packte und schüttelte Gibrils rechte Hand.<br />

»Da ich nun einmal zur pantheistischen Sichtweise neige«, dröhnte<br />

Maslama weiter, »Gründet meine persönliche Sympathie für Ihre Arbeit<br />

in Ihrer Bereitschaft, Gottheiten jeder erdenklichen Couleur darzustellen.<br />

Sie, Sir, sind eine Regenbogenkoalition des Himmlischen; eine<br />

wandelnde UNO der Götter! Sie sind, kurz gesagt, die Zukunft. Erlauben<br />

Sie mir, Sie zu grüßen.« Er begann, den unverkennbaren Geruch des<br />

wahrhaft Verrückten auszuströmen, und obgleich er bisher nichts gesagt<br />

oder getan hatte, was mehr als bloß eigenartig war, wurde Gibril unruhig<br />

und warf kleine nervöse Blicke Richtung Tür, um die Entfernung<br />

abzuschätzen. »Ich, Sir«, sagte Maslama gerade, »neige zu der Meinung,<br />

dass jeder Name, den man dem Einen gibt, nicht mehr als ein Kode ist;<br />

eine Ziffer, Mr. Farishta, hinter welcher der wahre Name verborgen<br />

liegt.«<br />

Gibril schwieg, und Maslama, der keinen Versuch machte, seine

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