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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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größerer Idiot, als du denkst.«<br />

»Danke, Onkel«, sagte Jumpy und trank seinen Kaffee aus.<br />

»Du warst mir eine große Hilfe.«<br />

Sufyan, wohl wissend dass sein liebevoller Spott den anderen<br />

aufheiterte, auch wenn er ein langes Gesicht zog, rief ein paar Worte zu<br />

dem hellhäutigen blauäugigen Asiaten hinüber, der da gerade - in einem<br />

flotten Kaschmirmantel mit extrabreiten Revers - eingetreten war. »He,<br />

Hanif Johnson«, rief er, »komm her, du sollst ein Rätsel lösen.« Johnson,<br />

ein cleverer Anwalt, ein Junge aus der Gegend, der es zu etwas gebracht<br />

hatte und direkt über dem Café Shaandaar ein Büro hatte, riss sich von<br />

Sufyans zwei schönen Töchtern los und steuerte auf Jumpys Tisch zu.<br />

»Erklär du mir diesen Kerl«, sagte Sufyan. »Bei dem komm’ ich nicht<br />

mit. Trinkt nicht, hält Geld für eine Krankheit, besitzt vielleicht zwei<br />

TShirts und keinen Videorecorder, ist vierzig Jahre alt und nicht<br />

verheiratet, arbeitet für ‘ne halbe Rupie im Sportcenter als Lehrer für<br />

Kampfsportarten und sonst was, lebt von Luft, benimmt sich wie ein<br />

Rishi oder Pir, aber hat keinen Glauben, macht keine Pläne, aber sieht<br />

aus, als würde er ein Geheimnis kennen. Das alles und eine<br />

Collegeausbildung, werd’ du da mal schlau draus.«<br />

Hanif Johnson schlug Jumpy auf die Schulter. »Er hört Stimmen«, sagte<br />

er. Sufyan warf seine Hände in gespielter Überraschung hoch.<br />

»Stimmen, hoppla, Baba. Stimmen von woher? Telefon? Himmel? Sony<br />

Walkman, unterm Mantel versteckt?«<br />

»Innere Stimmen«, sagte Hanif ernst. »Oben auf seinem Schreibtisch<br />

liegt ein Stück Papier, und darauf stehen ein paar <strong>Verse</strong>. Der Titel heißt:<br />

Fluss aus Blut.«<br />

Jumpy sprang auf, stieß seine leere Tasse um. »Ich schlag’ dich tot«,<br />

schrie er Hanif an, der schnell durch den Raum lief und dabei laut rief:<br />

»Wir haben einen Dichter in unseren Reihen, Sufyan Sahib. Mit Respekt<br />

zu behandeln. Mit Vorsicht zu genießen. Er sagt, eine Straße ist ein<br />

Fluss, und wir sind das, was dahinströmt; die Menschheit ist ein Fluss<br />

aus Blut, das ist der Standpunkt des Dichters. Und auch der Mensch als<br />

Individuum«, er brach ab und rannte los, um einen Acht-Personen-Tisch<br />

herum, und Jumpy hinterher, zornesrot, mit rudernden Armen. »Und in<br />

unseren Leibern, strömt da nicht auch der Fluss aus Blut?« Wie der<br />

Römer, lautete ein Satz des frettchenhaften Enoch Powell, scheine auch

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