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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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ihre Knöchel kalkweiß hervortraten. »Ich sagte, wenn du schon diese<br />

blöden häuslichen Metaphern verwenden musst, dann aber auch richtig.<br />

Es ist nämlich so, als würden zwei verschiedene Leute behaupten, sie<br />

wären Eigentümer eines Hauses, und einer von beiden besetzt es, und<br />

dann erscheint der andere mit der Schrotflinte. So ist das nämlich.« - »Ja,<br />

das ist wirklich die Wirklichkeit«, nickte Jumpy mit ernster Miene.<br />

»Richtig«, sie schlug ihm aufs Knie. »Das ist wirklich richtig… so ist<br />

das echt wirklich. Tatsache. Noch einen Drink.«<br />

Sie beugte sich vor zum Kassettenrecorder und drückte auf einen Knopf.<br />

Mein Gott, dachte Jumpy, Boney M.? Muss das jetzt sein? Trotz ihrer<br />

ganz harten, professionell antirassistischen Linie hatte die Dame immer<br />

noch eine Menge über Musik zu lernen. Jetzt ging es auch schon los,<br />

bummschickabumm. Und dann begann er unvermittelt zu weinen, zu<br />

echten Tränen gerührt durch unechte Emotionen, durch eine<br />

Disco-Beat-Imitation von Schmerz. Es war der<br />

hundertsiebenunddreißigste Psalm, »Super-Flumina«. König David, der<br />

über die Jahrhunderte hinweg rief. Wie könnten wir des HERREN Lied<br />

singen in fremdem Lande?<br />

»Ich musste die Psalmen in der Schule lernen«, sagte Pamela Chamcha,<br />

die auf dem Fußboden saß, den Kopf an die Bettcouch gelehnt, die<br />

Augen fest geschlossen. By the river of Babylon, where we sat down, oh<br />

oh we wept… sie hielt das Band an, lehnte sich wieder zurück, begann<br />

vorzutragen.<br />

»Vergesse ich dich, Jerusalem, so verdorre meine Rechte.<br />

Meine Zunge soll an meinem Gaumen kleben, wenn ich deiner nicht<br />

gedenke, wenn ich nicht lasse Jerusalem meine höchste Freude sein.«<br />

Später, im Bett, träumte sie von ihrer Klosterschule, von Frühmetten und<br />

Abendandachten, von Psalmengesang, als Jumpy hereingestürmt kam<br />

und sie wachrüttelte und dabei rief:<br />

»Es hat keinen Sinn, ich muss es dir sagen. Er ist nicht tot.<br />

Saladin: verdammt noch mal, er lebt.«<br />

Sie war sofort hellwach und schob sich die Hände in ihr dickes, lockiges<br />

hennagefärbtes Haar, in dem sich allmählich die ersten weißen Strähnen<br />

zeigten; sie kniete auf dem Bett, nackt, Hände im Haar, ohne sich rühren

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