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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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die Luft richtete: »Darf ich hoffen, dass Sie sich vielleicht auch an mich<br />

erinnern werden? Ein bisschen? Bei Gelegenheit?« Dann herrschte Stille,<br />

gefolgt von einem trockenen Lachen; und Chamcha hörte, wie sich<br />

jemand auf einen Stuhl setzte, schwerfällig, abrupt. Wieder die<br />

unerträgliche Stille, und endlich der Umschlag ins Lächerliche:<br />

»Oh«, brüllte der Monologe, »oh, wenn je ein Leib gelitten hat…!«<br />

Wir wollen alle hoch hinaus, aber dann verrät uns unsere Natur, dachte<br />

Chamcha; Hofnarren, die nach der Krone greifen.<br />

Tiefe Bitterkeit überkam ihn. Einst war ich leichter, glücklicher, warm.<br />

Jetzt fließt schwarzes Wasser in meinen Adern. Immer noch keine<br />

Pamela. Scheißegal. In dieser Nacht erklärte er dem Mantikor und dem<br />

Wolf, dass er mitmachen würde, hundertprozentig.<br />

<strong>Die</strong> große Flucht fand ein paar Nächte später statt, als Saladins Lungen<br />

dank der <strong>Die</strong>nste von Miss Hyacinth Phillips vollständig vom Schleim<br />

befreit waren. Wie sich herausstellte, handelte es sich um eine gut<br />

organisierte Angelegenheit in ziemlich großem Stil, die nicht nur die<br />

Insassen des Krankensaals betraf, sondern auch die nebenan hinter<br />

Drahtgittern in U-Haft gehaltenen Detenus, wie der Mantikor sie nannte.<br />

Da er nicht zu den großen Flucht-Planern gehörte, blieb Chamcha, wie<br />

abgesprochen, am Bettrand sitzen, bis Hyacinth ihm Bescheid gab, und<br />

dann rannten sie hinaus, aus dem Krankensaal der Alpträume in die<br />

Klarheit der kalten, mondhellen Nacht, vorbei an mehreren gefesselten,<br />

geknebelten Männern: ihren vormaligen Wärtern. Es waren viele<br />

schattenartige Gestalten, die durch die leuchtende Nacht liefen, und<br />

Chamcha erhaschte immer wieder einen Blick auf Wesen, wie er sie sich<br />

nie hätte vorstellen können, Männer und Frauen, von denen manche<br />

halbe Pflanzen waren oder riesige Insekten oder sogar teilweise aus<br />

Ziegeln oder Steinen bestanden; es gab Männer mit Rhinozeroshörnern<br />

anstelle von Nasen und Frauen mit langen giraffenartigen Hälsen. <strong>Die</strong><br />

Monster liefen schnell, schweigend bis zum Rand des<br />

Gefängniskomplexes, wo der Mantikor und andere scharfzahnige<br />

Mutanten bei den großen Löchern standen, die sie in das Gitter des<br />

hohen Zaunes gebissen hatten, und dann waren sie draußen, frei, und<br />

konnten ihrer Wege gehen, ohne Hoffnung, aber auch ohne Scham.

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