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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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mit ihr vereinigt; sie war seine Geliebte, der Mond seiner Wonne.<br />

Hyacinth kam zu den vereinbarten Zeiten, um auf ihm zu reiten und<br />

herumzutrommeln, und er fügte sich anstandslos.<br />

Doch nach der Behandlung flüsterte sie ihm ins Ohr: »Machen Sie mit,<br />

wie die anderen?«, und er begriff, dass auch sie an der großen<br />

Verschwörung beteiligt war. »Wenn Sie dabei sind«, hörte er sich sagen,<br />

»dann mache ich auch mit.« Sie nickte und sah erfreut aus. Chamcha<br />

spürte, wie ihn eine Wärme erfüllte, und er spielte schon mit dem<br />

Gedanken, eine der zierlichen, wenngleich kräftigen kleinen Fäuste der<br />

Krankengymnastin zu ergreifen, aber in diesem Moment ertönte ein<br />

Schrei aus der Ecke, wo der Blinde lag: »Mein Stock, ich habe meinen<br />

Stock verloren.«<br />

»Armer alter Kerl«, sagte Hyacinth und sprang von Chamcha ab, stürzte<br />

zum Bett des Blinden, hob den heruntergefallenen Stock auf, gab ihn<br />

seinem Eigentümer zurück und kam wieder zu Saladin. »Also«, sagte<br />

sie, »wir sehen uns heut’ Abend, okay, alles klar?«<br />

Er wollte, dass sie dablieb, aber sie gab sich energisch. »Ich bin eine<br />

vielbeschäftigte Frau, Mr. Chamcha. Ich hab ‘ne Menge Dinge zu<br />

erledigen, ‘ne Menge Leute zu behandeln.«<br />

Als sie gegangen war, legte er sich zurück und lächelte zum ersten Mal<br />

seit langer Zeit. Es kam ihm nicht in den Sinn, dass seine Metamorphose<br />

sogar noch fortschreiten würde, weil er romantische Gefühle für eine<br />

schwarze Frau hegte, und bevor er Zeit hatte, solch komplizierten<br />

Gedankengängen nachzuhängen, begann der blinde Mann von nebenan<br />

wieder zu reden.<br />

»Ich habe Sie wohl bemerkt«, hörte Chamcha ihn sagen, »ich habe Sie<br />

bemerkt, und ich habe Ihre Freundlichkeit und Ihr Verständnis schätzen<br />

gelernt.« Saladin erkannte, dass der Mann eine feierliche Dankesrede in<br />

den leeren Raum hinein hielt, wo in seiner Vorstellung immer noch die<br />

Krankengymnastin stand.<br />

»Ich bin kein Mann, der Freundlichkeit vergisst. Eines Tages vielleicht<br />

werde ich imstande sein, sie zu vergelten, aber eines sollten Sie doch<br />

jetzt schon wissen: dass diese Ihre Freundlichkeit nicht vergessen,<br />

sondern in herzlicher Erinnerung behalten wird…« Chamcha hatte nicht<br />

den Mut zu rufen, sie ist nicht da, alter Mann, sie ist schon längst<br />

gegangen. Er hörte bedrückt zu, bis der Blinde schließlich einen Satz an

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