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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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unterworfen, die sie sich von uns machen.«<br />

»Kaum zu glauben«, wandte Chamcha ein. »Ich lebe seit vielen Jahren<br />

hier, und mir ist so was noch nie zuvor passiert…« Seine Worte<br />

versiegten, weil er sah, wie der Mantikor ihn durch<br />

zusammengekniffene, misstrauische Augen ansah, »Seit vielen Jahren?«<br />

fragte er. »Wie ist das möglich?<br />

Vielleicht sind Sie ein Informant? Ja, das ist es, ein Spitzel?«<br />

Genau in diesem Moment drang ein lautes Jammern aus einer weiter<br />

entfernten Ecke des Krankensaals. »Lasst mich gehen«, bettelte eine<br />

Frau. »O Gott, ich will hier raus. Jesus Maria, ich muss raus, lasst mich<br />

raus, o Gott, o Herr Jesus.« Ein höchst lüstern aussehender Wolf steckte<br />

den Kopf zwischen Saladins Wandschirmen durch und sprach<br />

eindringlich mit dem Mantikor. »<strong>Die</strong> Wachen werden bald hier sein«,<br />

zischte er. »<strong>Die</strong> schreit schon wieder, die Glas-Bertria.«<br />

»Glas…?« begann Saladin. »Ihre Haut hat sich in Glas verwandelt«,<br />

erklärte der Mantikor ungeduldig, ohne zu wissen, dass er damit<br />

Chamchas schlimmsten Traum zum Leben erweckte. »Und diese<br />

Schweine haben es ihr kaputtgeschlagen. Jetzt kann sie nicht mal zur<br />

Toilette gehen.«<br />

Eine neue Stimme zischte durch die grünliche Nacht.<br />

»Herrgott noch mal, Weib. Mach doch in die Bettschüssel.«<br />

Der Wolf zog den Mantikor zur Seite. »Macht er nun mit oder nicht?«<br />

wollte er wissen. Der Mantikor zuckte die Achseln. »Er kann sich nicht<br />

entscheiden«, antwortete er. »Traut seinen eigenen Augen nicht, das ist<br />

sein Problem.«<br />

Sie flohen, als sie die schweren, knirschenden Stiefel der Wärter nahen<br />

hörten.<br />

Am nächsten Tag war nichts von einem Arzt zu sehen und auch nichts<br />

von Pamela, und Chamcha, völlig verwirrt, pendelte zwischen Wachen<br />

und Schlafen, als würden diese beiden Zustände keine Gegensätze mehr<br />

bilden, sondern ineinander und auseinander fließen in einem nicht enden<br />

wollenden Delirium aller Sinne… und so fand er sich im Traum mit der<br />

Queen, in zärtlicher Umarmung mit der Monarchin. Sie war der Leib<br />

Großbritanniens, das Avatara des Staates, und er hatte sie erwählt, sich

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