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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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eines neugeborenen Babys. <strong>Die</strong> Schreie der Frau verstummten jedoch<br />

nicht, als die des Babys einsetzten, eher schienen sie sogar noch<br />

intensiver, durchdringender zu werden, und ungefähr eine Viertelstunde<br />

später hörte Chamcha die Stimme eines zweiten Kindes, das sich dem<br />

ersten anschloss. Und immer noch wollten die Gebärqualen der Frau<br />

nicht enden; alle fünfzehn bis dreißig Minuten, über einen schier<br />

unendlichen Zeitraum hinweg, fügte sie der ohnehin unglaublich großen<br />

Zahl von Babys ein neues hinzu, ließ sie nacheinander, wie eine<br />

siegreiche Armee, aus ihrem Bauch marschieren.<br />

Seine Nase verriet ihm, dass das Sanatorium oder wie sich der Ort sonst<br />

nennen mochte, nun auch noch begann, zum Himmel zu stinken;<br />

Dschungel-und Bauernhofsgerüche vermischten sich mit dem kräftigen<br />

Aroma exotischer Gewürze, die in geklärter Butter brutzelten -<br />

Koriander, Kurkuma, Zimt, Kardamom, Gewürznelken. »Das geht zu<br />

weit«, dachte er entschlossen. »Höchste Zeit, ein paar Dinge zu klären.«<br />

Er schwang die Beine aus dem Bett, versuchte aufzustehen und fiel<br />

prompt auf den Boden, denn er war an seine neuen Beine überhaupt<br />

nicht gewöhnt. Er brauchte etwa eine Stunde, um diese Hürde zu<br />

überwinden, um gehen zu lernen, indem er sich am Bett festhielt und<br />

darum herum humpelte, bis sein Zutrauen wuchs. Und als er sich<br />

schließlich nicht mehr wackelig fühlte, machte er sich auf den Weg zum<br />

nächsten Wandschirm; woraufhin, breit lächelnd wie die Katze aus Alice<br />

im Wunderland, das Gesicht des Beamten Stein zwischen zwei<br />

Wandschirmen zu seiner Linken erschien, gefolgt vom Rest des<br />

Burschen, der die Schirme verdächtig schnell hinter sich<br />

zusammenschob.<br />

»Na, wie geht’s?« fragte Stein, unverwandt lächelnd.<br />

»Wann kann ich mit dem Arzt sprechen? Wann kann ich zur Toilette<br />

gehen? Wann werde ich entlassen?« fragte Chamcha schnell. Stein<br />

antwortete in der gleichen Reihenfolge: der Doktor würde bald<br />

vorbeischauen; Schwester Phillips würde ihm eine Bettschüssel bringen,<br />

er würde entlassen werden, sobald er wieder gesund sei. »Verdammt<br />

anständig von Ihnen, sich diese Lungensache zu holen«, fügte Stein<br />

hinzu, mit der Dankbarkeit eines Autors, dessen Romanfigur<br />

unerwarteterweise ein heikles technisches Problem gelöst hat.<br />

»Macht die Geschichte viel überzeugender. Offenbar waren Sie so krank,

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