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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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eiden Männer Ponchos um ihre Unterarme, zogen ihre Messer,<br />

umkreisten einander, kämpften. Juan starb. Martin de la Cruz hob den<br />

Hut des toten Mannes auf und warf ihn Aurora del Sol vor die Füße. Sie<br />

nahm den Hut und sah Martin davongehen.<br />

Rosa Diamond, neunundachtzig Jahre alt, in einem langen silbernen<br />

Mantelkleid, mit einer Zigarettenspitze in der behandschuhten Hand und<br />

einem silbernen Turban auf dem Kopf, trank Gin-Wermut aus einem<br />

grünen, dreieckigen Glas und erzählte Geschichten aus der guten alten<br />

Zeit. »Ich möchte tanzen«, erklärte sie plötzlich. »Es ist mein<br />

Geburtstag, und ich habe noch nicht einmal getanzt.«<br />

<strong>Die</strong> Strapazen jener Nacht, in der Rosa und Gibril bis zur<br />

Morgendämmerung tanzten, waren offenbar doch zu viel gewesen für die<br />

alte Dame, die am nächsten Tag im Bett blieb, erschöpft und mit einem<br />

leichtem Fieber, das immer phantastischere Erscheinungen hervorrief:<br />

Gibril sah Martin de la Cruz und Aurora del Sol auf dem ziegelgedeckten<br />

Giebeldach des Diamond-Hauses Flamenco tanzen, und auf dem<br />

Bootshaus standen Peronisten in weißen Anzügen und sprachen zu einer<br />

Versammlung von Peones über ihre Zukunft:<br />

»Wenn Perón siegt, werden diese Ländereien enteignet und unter dem<br />

ganzen Volk aufgeteilt werden. Auch die britischen Eisenbahnen werden<br />

verstaatlicht werden. Schmeißen wir sie raus, diese Banditen, diese<br />

Freibeuter…« <strong>Die</strong> Gipsbüste von Henry Diamond hing mitten in der Luft<br />

und beobachtete die Szene, und ein Agitator im weißen Anzug zeigte mit<br />

einem Finger auf ihn und schrie: »Das ist er, unser Unterdrücker; das ist<br />

der Feind.« Gibril tat der Bauch so entsetzlich weh, dass er um sein<br />

Leben bangte, aber just in dem Moment, als seine Vernunft ihm sagte, es<br />

könne sich sehr wohl um ein Magengeschwür oder eine<br />

Blinddarmentzündung handeln, flüsterte ihm der Rest seines Gehirns die<br />

Wahrheit zu, und die lautete, dass er durch Rosas Willenskraft<br />

gefangengehalten und manipuliert wurde, genauso wie der Engel Gibril<br />

durch das überwältigende Verlangen des Propheten Mahound zum<br />

Sprechen gezwungen worden war.<br />

»Sie liegt im Sterben«, erkannte er. »Es wird nicht mehr lange dauern.«<br />

Rosa Diamond warf sich im Fieberwahn hin und her auf ihrem Bett,

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