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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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Zähne.<br />

Auf seinem Nachtisch stand ein Telefon. Jetzt aber, ermahnte er sich.<br />

Heb ab, wähl, dann wird sich auch dein seelisches Gleichgewicht<br />

wiederherstellen. <strong>Die</strong>se Schlaffheit, das passt doch nicht zu dir, ist deiner<br />

nicht würdig. Denk an ihren Kummer; ruf sie jetzt an.<br />

Es war Nacht. Er wusste nicht, wie spät es war. Es gab keine Uhr im<br />

Zimmer, und seine Armbanduhr war ihm irgendwo abhandengekommen.<br />

Sollte er sollte er nicht? Er wählte die neun Ziffern. Beim vierten<br />

Klingelzeichen meldete sich ein Mann.<br />

»Was zum Teufel soll das?« Schläfrig, unidentifizierbar, bekannt.<br />

»Entschuldigung«, sagte Saladin Chamcha. »Entschuldigen Sie bitte.<br />

Hab’ mich verwählt.«<br />

Während er noch das Telefon anstarrte, fiel ihm ein Theaterstück ein, das<br />

er einmal in Bombay gesehen hatte; es basierte auf einem englischen<br />

Original, aber er kam nicht mehr auf den Namen, Tennyson? Nein, nein.<br />

Somerset Maugham?<br />

Ach, weiß der Teufel. In der ursprünglichen und nun autorlosen Fassung<br />

kommt ein Mann, der nach jahrelanger Abwesenheit für tot erklärt<br />

worden ist, eines Tages zurück, wie ein lebender Geist, um die Orte<br />

aufzusuchen, die ihm früher wichtig gewesen waren. Eines Nachts kehrt<br />

er heimlich zu seinem ehemaligen Haus zurück und blickt durch ein<br />

offenes Fenster hinein. Er entdeckt, dass seine Frau, die sich für seine<br />

Witwe hält wieder geheiratet hat. Auf dem Fenstersims steht ein<br />

Kinderspielzeug. Er bleibt geraume Zeit stehen, im Dunkeln, und ringt<br />

mit seinen Gefühlen; schließlich nimmt er das Spielzeug vom Sims; und<br />

geht für immer fort, ohne zu verraten, dass er dagewesen ist. <strong>Die</strong><br />

indische Version der Geschichte sah anders aus. <strong>Die</strong> Frau hatte den<br />

besten Freund ihres Mannes geheiratet. Der Ehemann erschien an der<br />

Haustür und marschierte nichtsahnend hinein. Als er seine Frau und<br />

seinen besten Freund beisammen sitzen sah, begriff er nicht, dass die<br />

beiden verheiratet waren. Er dankte seinem Freund dafür, dass er seine<br />

Frau getröstet hatte, aber jetzt war er ja wieder zu Hause und somit alles<br />

in Ordnung. Das Ehepaar wusste nicht, wie es ihm die Wahrheit<br />

beibringen sollte; schließlich war es ein <strong>Die</strong>ner, der sie verriet. Der<br />

Ehemann, dessen lange Abwesenheit offenbar auf einen Anfall von<br />

Amnesie zurückzuführen war, reagierte auf die Nachricht von der

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