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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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»Geh und frag Gibril«, und er, der Träumer, spürt, wie sein Herz vor<br />

Angst einen Sprung macht, wer, ich? Ich soll hier die Antworten wissen?<br />

Ich sitze hier und sehe mir diesen Film an, und jetzt zeigt dieser<br />

Schauspieler mit dem Finger auf mich, wer hat je so etwas gehört, wer<br />

verlangt vom verdammten Publikum eines »Theologicals«, es soll die<br />

verdammte Handlung auflösen? Aber während der Traum sich verändert,<br />

verwandelt er ständig seine Gestalt, er, Gibril, ist nicht mehr ein bloßer<br />

Zuseher, sondern der Hauptdarsteller, der Star. Mit seiner alten<br />

Schwäche, zu viele Rollen zu übernehmen: ja, ja, er spielt nicht nur den<br />

Erzengel, sondern auch ihn, den Geschäftsmann, den Verkünder<br />

Mahound, der den Berg heraufkommt, wenn er kommt. Ein raffinierter<br />

Schnitt ist erforderlich, um die Doppelrolle zu schaukeln, die beiden<br />

dürfen nie gemeinsam in derselben Einstellung zu sehen sein, jeder muss<br />

zur Luft sprechen, zu der vorgestellten Inkarnation des anderen, und der<br />

Technik vertrauen, die das fehlende Bild erschaffen soll, mit Schere und<br />

Klebestreifen oder, exotischer, mit Hilfe einer Reisematte. Nicht zu<br />

verwechseln, haha, mit einem fliegenden Teppich.<br />

Er hat verstanden: dass er sich vor dem anderen fürchtet, dem<br />

Geschäftsmann, ist das nicht verrückt? Der Erzengel steht bebend vor<br />

einem gewöhnlichen Sterblichen. Das stimmt, aber: diese Art Angst<br />

empfindet man, wenn man zum allerersten Mal in einem Film mitspielt<br />

und da, im Begriff, ihren Auftritt zu machen, ist eine der lebenden<br />

Legenden des Kinos; man denkt, ich werde mich blamieren, den Mund<br />

nicht aufbringen, alles verpatzen, man möchte ihrer um jeden Preis<br />

würdig sein. Man wird vom Sog ihrer Genialität mitgerissen, sie kann<br />

einen gut aussehen lassen, wie einen Erfolgsmenschen, aber man merkt,<br />

wenn man das eigene Gewicht nicht tragen kann, und noch schlimmer,<br />

sie merkt es auch… Aus Angst, der Angst vor dem Ich, das sein Traum<br />

erschafft, wehrt sich Gibril gegen Mahounds Ankunft, versucht, sie<br />

hinauszuzögern, aber da kommt er, keine Frage, und der Erzengel hält<br />

den Atem an.<br />

<strong>Die</strong>se Träume, in denen man auf die Bühne gestoßen wird, auf der man<br />

nichts zu suchen hat, man kennt die Handlung nicht, hat den Text nicht<br />

gelernt, aber ein volles Haus, sieht zu: so fühlt er sich jetzt. Oder die<br />

wahre Geschichte von der weißen Schauspielerin, die in einem Stück<br />

von Shakespeare eine Schwarze spielt. Sie betrat die Bühne und merkte

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