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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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Zunge in ganz Jahilia, aber zu Abu Simbel ist er nahezu ehrerbietig.<br />

»Warum so nachdenklich, Grande? Wenn Euch nicht die Haare<br />

ausgingen, dann würde ich Euch raten, sie offen zu tragen.« Abu Simbel<br />

grinst sein schiefes Grinsen.<br />

»Ein solches Ansehen«, sinnt er. »So viel Ruhm, noch bevor dir die<br />

Milchzähne ausgefallen sind. Pass auf, oder wir werden sie dir ziehen<br />

müssen.« Er spricht im Spaß, leichthin, aber selbst diese Leichtigkeit ist<br />

mit Drohung verbrämt, aufgrund des Ausmaßes seiner Macht. Der Junge<br />

ist ungerührt. Im Gleichschritt mit Abu Simbel antwortet er: »Für jeden,<br />

den du ziehst, wird ein stärkerer nachwachsen, der tiefer beißen und<br />

heißeres Blut herausschießen lassen wird.« Der Grande nickt kaum<br />

merklich. »Du magst den Geschmack von Blut«, sagt er.<br />

Der Junge zuckt die Achseln. »<strong>Die</strong> Aufgabe des Dichters«, antwortet er.<br />

»Das Unnennbare zu benennen, Betrug aufzudecken, Stellung zu<br />

beziehen, Auseinandersetzungen in Gang zu bringen, die Welt zu<br />

gestalten und sie am Einschlafen zu hindern.« Und wenn aus den<br />

Wunden, die seine <strong>Verse</strong> reißen, Ströme von Blut fließen, so werden sie<br />

ihn nähren. Er ist Baal, der Satiriker.<br />

Eine Sänfte mit zugezogenen Vorhängen gleitet vorbei; irgendeine<br />

vornehme Dame der Stadt, auf den Schultern von acht anatolischen<br />

Sklaven getragen, um den Jahrmarkt zu sehen. Abu Simbel nimmt den<br />

jungen Baal am Ellbogen, unter dem Vorwand, ihn aus dem Weg zu<br />

ziehen; murmelt: »Ich habe gehofft, dich zu treffen; wenn du gestattest,<br />

auf ein Wort.« Baal bewundert das Geschick des Granden. Auf der<br />

Suche nach einem Mann kann er seine Jagdbeute glauben machen, dass<br />

sie ihrerseits den Jäger gejagt hat. Abu Simbels Griff um den Ellbogen<br />

wird fester; er lenkt seinen Begleiter auf das Allerheiligste im<br />

Mittelpunkt der Stadt zu.<br />

»Ich habe einen Auftrag für dich«, sagt der Grande. »Eine literarische<br />

Angelegenheit. Ich kenne meine Grenzen; die Fähigkeit zu gereimter<br />

Bosheit, die Kunst metrischer Verleumdung liegen nicht in meiner<br />

Macht. Du verstehst.«<br />

Doch Baal, der stolze, hochmütige Kerl, gibt sich unnachgiebig, besteht<br />

auf seiner Würde. »Es ist nicht recht, wenn ein Künstler sich in den<br />

<strong>Die</strong>nst des Staates stellt.«<br />

Simbels Stimme wird leiser, geht zu einem seidigeren Rhythmus über.

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