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Johannes Tütken - SUB Göttingen - GWDG

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ten – Georg Heinrich Borheck gelten, der ihn unmittelbar vorher – von 1785 bis<br />

1787 – geplant und errichtet hatte. 1239 Er beherbergte die erste mit einer Universität<br />

verknüpfte Entbindungsanstalt, die hier nahe dem Standort des alten Accouchement<br />

ihr zweites Domizil erhielt. Die großzügige und moderne Anlage und Einrichtung<br />

veranlasste Lichtenberg zu der Bemerkung, es handele sich um einen<br />

Accouchierpalast. 1240<br />

Da im Normalfall mit Hilfe einer Hebamme zu Hause entbunden wurde, lagen –<br />

vom Extremfall eines „widernatürlichen“ Geburtsverlaufs abgesehen, – Entbindungen<br />

weitgehend außerhalb des Erfahrungs- und Studienbereichs der männlichen<br />

Ärzte mit akademischer Ausbildung. Um dieses Forschungs- und Ausbildungsdefizit<br />

zu verringern, hatte man bereits 1751 begonnen, im ersten Hospital<br />

der Georgia Augusta, dem Vorgängerbau am Geismartor, Entbindungsmöglichkeiten<br />

für Schwangere und dadurch Ausbildungschancen für Medizinstudenten<br />

und Hebammenschülerinnen zu schaffen. Nur durch eine sehr liberale Aufnahmepolitik<br />

und durch eine Reihe von Vergünstigungen war es möglich, Frauen für<br />

eine Entbindung im neuen Accouchierhaus zu gewinnen. Die kostenlose Behandlung<br />

sollte allen offen stehen: Verheiratete und Unverheiratete, Inländerin und Ausländerin,<br />

Christin und Jüdin, Weiße und Negerin waren zugelassen, und eine Untersuchung<br />

von Jürgen Schlumbohm hat gezeigt, dass entsprechend dieser Devise aufgenommen<br />

und behandelt wurde. Wie von den Initiatoren erwartet, wurden die<br />

Dienstleistungen im Accouchierpalast – sozial gesehen, – sehr einseitig nachgefragt.<br />

Unter den 3561 Entbindungsfällen der Jahre 1791 bis 1829 waren nur 2,2 % der<br />

Frauen verheiratet. Über 90 % der Patientinnen arbeiteten als Dienstmagd oder<br />

Dienstmädchen. 1241<br />

1239 Zu Borheck vgl. Ebel: Catalogus (wie Anm. 19), S. 134, Nr. 40. – Schellenberg, Karl: Der<br />

Borheckbau und seine Vorläufer. Beitrag zur Grundrißgeschichte der Göttinger Universitäts-<br />

Bibliothek. In: Beiträge zur Göttinger Bibliotheks- und Gelehrtengeschichte. <strong>Göttingen</strong> 1928, S. 55-<br />

74. – Brinkmann, Jens-Uwe: Borheck. In: Saur Allgemeines Künstlerlexikon, Bd. 13, München 1996,<br />

S. 57 f. – Freigang (wie Anm. 84), S. 783-787. – Zum Lageplan mit dem älteren Accouchement vgl.<br />

Oberdiek (wie Anm. 83), S. 21.<br />

1240 Schlumbohm, Jürgen: Ledige Mütter als „lebendige Phantome“ – oder: Wie die Geburtshilfe aus<br />

einer Weibersache zur Wissenschaft wurde. In: Duwe, Kornelia u. a. (Hg.): <strong>Göttingen</strong> ohne Gänseliesel.<br />

Texte und Bilder zur Stadtgeschichte. <strong>Göttingen</strong> 1988, S. 150-159. – Schlumbohm, Jürgen/Wiesemann,<br />

Claudia (Hg.): Die Entstehung der Geburtsklinik in Deutschland 1751-1850. <strong>Göttingen</strong>,<br />

Kassel, Braunschweig. <strong>Göttingen</strong> 2004.<br />

1241 Schlumbohm, Jürgen: „Verheiratete und Unverheiratete, Inländerin und Ausländerin, Christin<br />

und Jüdin, Weiße und Negerin“: Die Patientinnen des Entbindungshospitals der Universität <strong>Göttingen</strong><br />

um 1800. In: Hans-Jürgen Gerhard (Hg.): Struktur und Dimension. Festschrift für Karl-<br />

Heinrich Kaufhold zum 65. Geburtstag. Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte,<br />

Beiheft 132. Stuttgart 1997, S. 324-343. Hier: S. 330 f. – Ferner: Ders.: Grenzen des Wissens. Verhandlungen<br />

zwischen Arzt und Schwangeren im Entbindungshospital der Universität <strong>Göttingen</strong> um<br />

1800. In: Duden, Barbara, Schlumbohm, Jürgen, Veit, Patricia (Hg.): Geschichte des Ungeborenen.<br />

Zur Erfahrungs- und Wissenschaftsgeschichte der Schwangerschaft, 17. -20. Jahrhundert. Veröffentlichungen<br />

des Max-Planck-Instituts für Geschichte 170. <strong>Göttingen</strong> 2002, S. 129-165.

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