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Johannes Tütken - SUB Göttingen - GWDG

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901<br />

Das sonderbarste aller Rechte ist unstreitig das Völkerrecht, ein Zwitterrecht, ein<br />

Amphibienrecht, ein Halbrecht, ein Zweig oder vielmehr eine Anwendung des Naturrechts,<br />

das in seiner Anwendung formlos herumläuft, und ein Recht ohne (positive) Gesetze<br />

macht. [S. III]<br />

Als Kerns Kollege Saalfeld 1809 seinen Grundriß eines Systems des europäischen Völkerrechts<br />

publizierte, teilte er mit Kern die Auffassung, dass es sich um ein problematisches<br />

Rechtsgebilde handele. Es sei ein Recht ohne Richter und Gesetze, und<br />

Zwistigkeiten zwischen den Völkern würden nur von Gott – dem obersten Richter<br />

– und durch das Schwert entschieden. 2557 Aber während nach Saalfelds Meinung<br />

in dieser Situation nur noch der von ihm gewählte historische Gesichtspunkt<br />

zu praktisch bedeutsamen Resultaten führen konnte, wählte der Aufklärer Kern<br />

1803 die philosophische Betrachtungsweise einer prinzipienorientierten Erörterung<br />

naturrechtlicher Art.<br />

Von der Vorstellung einer wünschenswerten Gerechtigkeit bewegt, wendet sich<br />

Kern in seiner Publikation wissenschaftskritisch gegen die gängigen Systeme des<br />

Völkerrechts und politikkritisch gegen die außenpolitische Praxis der Regime. Er<br />

endet bei dem Schluss-Satz:<br />

Alle diejenigen, die über die Schlechtigkeit der Menschen und die Unmöglichkeit der<br />

Verbesserung der Zeiten impotent und gotteslästerlich winseln, sind, 100 gegen 1 gewettet,<br />

unbewust und unbewust, was an ihnen liegt, durch ihr eignes schlechtes, egoistisches,<br />

unmoralisches, Untergebene drückendes und Hohen schmeichelndes Betragen Schuld an<br />

dieser Fortdauer der Schlechtigkeit. [S. 152]<br />

- womit so ziemlich alle Zeitgenossen – Herrschende und Beherrschte – in<br />

Schuldhaftung genommen waren.<br />

An den Schluss des Buches stellt Kern sein Gedicht Der Sieg der Gerechtigkeit [S.<br />

147-152], in dem er der tiefgesunkenen Menschheit noch einen poetischen Spiegel<br />

vorhält. Zur Wendung tiefgesunkene Menschheit merkt er noch an, dass bisher nur<br />

drei Männer die Stärke der Vernunft besessen hätten, nicht allein die Möglichkeit,<br />

sondern auch die Wirklichkeit einer bessern Welt vorauszusehen: St. Pierre, Herder<br />

und Lafontaine. 2558 Was einige andre Neuere aus Idealen haben hervorzupumpen gemogt,<br />

ist Geistesdürftigkeit, schauderhafte Leere, ekle, kraftlose Geniesüchtelei. Nicht selten prä-<br />

2557 Saalfeld (wie Anm. 1068), S. V.<br />

2558 In dieser etwas seltsam zusammengestellten Trias, in der z. B. Kant fehlt, ist mit St. Pierre der<br />

Abbé de St. Pierre, Carl Irenäus Castel, gemeint, der sich u. a. mit dem Glück der Völker und dem<br />

Ewigen Frieden beschäftigt hatte. Kern ist vermutlich durch eine im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht<br />

erschienene Publikation von Eobald To(t)ze auf den friedenssichernden Europagedanken<br />

gestoßen. Totze war Privatdozent der Philosophischen Fakultät (1747-1761) und zeitweilig Universitätssekretär.<br />

Er veröffentlichte 1763 Der ewige und allgemeine Friede, in dem durch ein beständiges Bündnis<br />

in einem Staatskörper zu vereinigenden Europa, nach dem Entwurfe Heinrich IV. und des Abts von St. Pierre. –<br />

Zu Totze vgl. Ebel: Catalogus (wie Anm. 19), S. 133, Anm. 9. – Zu Totzes Publikation vgl. Ruprecht<br />

(wie Anm. 717), S. 80. – Vgl. ferner ADB 38/1894, S. 487 f. – Zu Herders Beitrag in der Diskussion<br />

über den Ewigen Frieden vgl. Dietze (wie Anm. 838) passim. – Mit Lafontaine bezieht sich Kern u.<br />

U. auf den zu dieser Zeit viel gelesenen Unterhaltungsschriftsteller A. H. J. Lafontaine.

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