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Johannes Tütken - SUB Göttingen - GWDG

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neration befand, deren Durchsetzungschancen insbesondere seit den Karlbader<br />

Beschlüssen von 1819 sich reduzierten.<br />

Ausführlich beschäftigt sich Brinkmann mit dem studentischen Verruf, der 1818<br />

über die Georgia Augusta ausgesprochen wurde und die Universität im Vorfeld<br />

der Karlsbader Beschlüsse in die Schlagzeilen des In- und Auslandes brachte. Der<br />

unpolitische Auslöser war der tätliche Angriff des Metzgers Krische auf einen<br />

Studenten. Überzogene Versuche der Regierung, die empörten Reaktionen der<br />

Studentenschaft militärisch zu begrenzen, hatten zunächst einen Studentenauszug<br />

nach Witzenhausen zur Folge. Als dieses traditionelle Druckmittel versagte, wurde<br />

vom Senioren Convent (S. C.) über die Georgia Augusta für zwei Jahre der Verruf<br />

verhängt, der wegen des weitgehenden Abzugs der Ausländer die Studentenzahl<br />

fast um die Hälfte verringerte. 1222<br />

Angesichts negativer Publikationen über den Verruf fühlte sich Brinkmann in<br />

seinen Bruchstücken aufgerufen, die kursierenden Erklärungsmuster durch entferntere<br />

Veranlassungen zu ergänzen (S. 29). Er verweist z. B. auf soziale Erklärungsmöglichkeiten<br />

für das Handeln der Konfliktparteien, die nach seiner Bewertung geeignet<br />

waren, die Ebene parteigebundener Stellungnahmen zu übersteigen: Zunehmender<br />

Wohlstand habe dazu geführt, dass die ungebildeten aber wohlhabenden<br />

Bürgersöhne begonnen hätten, sich mit den Studenten zu vergleichen. Auf der<br />

Seite der Studenten habe der rasante Anstieg ihrer Zahl in den Nachkriegsjahren<br />

nicht kalkulierte Folgen gehabt: Alle gewohnten Verhältnisse wurden durch einen so schnellen<br />

Zuwachs verschoben. (S. 29) Der einzelne Student habe sich dadurch erdrückt und<br />

in die große Menge zurückgestoßen gefühlt. Weil unter solchen Umständen nur<br />

wenigen Studenten der Zugang zu vornehmen Familien möglich gewesen sei, habe<br />

sich eine Tendenz entwickelt, Zerstreuung in öffentlichen Häusern zu suchen, wo<br />

bei Musik und Tanz bisher im wesentlichen die Bürger ihrem Vergnügen nachgingen.<br />

Dies habe in den Lokalen zu Konflikten der einander relativ fremden Gruppen<br />

geführt. Sie hätten sich z. T. in blutigen Schlägereien entladen.<br />

Brinkmann liefert mit seiner Analyse und Bewertung ein frühes Beispiel für einen<br />

Erklärungsansatz, der einen Zusammenhang zwischen der Größe einer Universität<br />

und ihrer Sozialisationsmöglichkeit sieht. Die anwachsende Masse der Studenten<br />

sah er in kausaler Verknüpfung mit der nachlassenden Wirkung dieser Massen-<br />

Universität bei deren Integration und Erziehung. Brinkmann weist auch auf konfliktverschärfende<br />

Defizite in der unkoordinierten rechtlichen Infrastruktur von<br />

Stadt und Universität hin. Im Zuge der Restauration war die Rechtsgleichheit aller<br />

westphälischen Bürger vor dem Gesetz wieder aufgehoben worden. Als Folge<br />

hatte man in <strong>Göttingen</strong> wiederum mit dem schwer koordinierbaren Nebeneinander<br />

der mit einer eigenen Gerichtsbarkeit privilegierten Georgia Augusta und der<br />

für die andern Göttinger Einwohner zuständigen städtischen Gerichtsbarkeit zu<br />

leben. Beim Friedensfest 1814 habe man nur eine Musikantengruppe bei 8 000<br />

Menschen engagierten können, womit Brinkmann den städtischen Musikzwang<br />

kritisiert, der während des Vormärz noch zu weiteren Konflikten Anlass geben<br />

1222 Vgl. u. a. <strong>Tütken</strong>: Opposition (wie Anm. 702), S. 261 f.

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