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Johannes Tütken - SUB Göttingen - GWDG

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882<br />

Das Gefühl ist doch nun hier einmal Contrebande, warum sollte ich deshalb nicht, solange<br />

es ohne meinen und fremden Schaden geschehen kann, den tollen Carneval ein<br />

wenig mitmachen. 2492<br />

Noch im vierten Studienjahr (1810) verharrte Schulze bei dieser Situationsanalyse<br />

und hatte für sein Verhalten im Karneval der Gesellschaft immer noch keine produktivere<br />

Form der Reaktion gefunden. Einem Freunde schreibt er:<br />

Man amüsiert sich wirklich dort recht gut, denn die Göttinger Damen machen in der<br />

That bei jeux d´esprit unserm Musensitz Ehre. Da jeder in dieser Gesellschaft, um<br />

nicht als Null betrachtet zu werden, einen bestimmten Charakter nach dem Zuschnitt<br />

der eleganten Welt haben muß, habe ich den eines höchst maliziösen Menschen angenommen,<br />

der Jedem, bei allen Gelegenheiten etwas anzuhängen sucht und kein größeres<br />

Glück kennt, als über andere zu medisiren und zu satyriren. Bey Leuten von grader<br />

und ungemodelter Denkungsart würde sich ein solcher Charakter nicht sehr empfehlen,<br />

hier ist er indeß an seinem Platze. 2493<br />

Eine der von Schulze kultivierten Rollen war die des talentierten Dichters der<br />

mühelos zu seinen Versen kommt. Am 2. 4. 1812 setzte er sich gegenüber Cäcilie<br />

entsprechend in Szene, indem er einem bereits vorliegenden Gedicht über den<br />

Schmerz nur noch einen passenden Schluss hinzufügte und es an Cäcilie sandte.<br />

Man wird glauben, ich hätte die ganze Epistel an diesem Abend gemacht, und mich<br />

abermals bewundern. Wer nichts sein kann, muß wenigstens scheinen, und in dieser<br />

Kunst habe ich es zum Glück weit genug gebracht. Am Anfang meiner Universitätsjahre,<br />

als ich für keinen Heller gelernt hatte, hielt man mich für sehr gelehrt. Als ich<br />

nachher in die hiesigen Gesellschaften eingeführt wurde und aus Geistlosigkeit darin<br />

schwieg, hielt man mich doch für sehr geistreich; als ich aus Aerger über die Langeweile,<br />

welche mir die meisten Gesellschaften machten, medisant und boshaft wurde, galt ich<br />

für einen äußerst witzigen Kopf; als ich aus einem augenblicklichen raschen Gefühl,<br />

vielleicht auch aus Eitelkeit einige lobenswerthe Dinge beging, glaubte man, ich sei ein<br />

Muster von Großmuth und Hochherzigkeit.<br />

Die Welt will ja betrogen sei,<br />

Drum werde sie betrogen. 2494<br />

Doch nicht selten musste Schulze registrieren, dass er sich in den gewählten Rollen<br />

verlor und im Karneval des Lebens hinter seiner Larve eine Komödie nicht<br />

nur für andere sondern auch vor sich selber spielte. Während er meinte im spielerisch<br />

Herr seiner Rollen zu sein, bewegten sie ihn im Selbstlauf und er sah die<br />

Gefahr, dass sie sich seiner bemächtigen könnten. 2495 Seine „Natur“ war nicht der<br />

2492 Marggraff (wie Anm. 2418), S. 79.<br />

2493 Müller: Vertonungen (wie Anm. 2413), S. 114 f.<br />

2494 Marggraff (wie Anm. 2418), S. 105 f.<br />

2495 Freilich muß ich mich in Acht nehmen, diesen Charakter mir nicht durch Gewohnheit zueigezumachen und ihn<br />

künftig in andere Verhältnisse mit hinüberzunehmen [Marggraff (wie Anm. 2418), S. 80. Vgl. auch S. 78.].

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