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Johannes Tütken - SUB Göttingen - GWDG

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868<br />

hiesigen Marionettenpuppen, welche sich nach dem Drahte der Mode und Convenienz<br />

wenden und bewegen, und die oft höchst lächerliche Verbeugungen und Knixe machen,<br />

wenn sie zürnend oder verachtend den Rücken drehen sollten. 2443<br />

Dass in diesem Spott über das gesellschaftliche Gehabe sich nicht nur jugendlicher<br />

Snobismus eines etwas weltfremden Poeten äußerte, zeigen grundsätzlichere<br />

Bemerkungen anderer kritischer Beobachter der Georgia Augusta in den folgenden<br />

Jahren. Der vorsichtige Sodale Friedrich Lücke z. B. schrieb am 1. 2. 1816 an<br />

Schleiermacher:<br />

Ich seh’ und fühle es täglich, wie der Geist unter der Last des trägen, steifen Lebens erstirbt<br />

und der frohe muthige Jugendsinn vor der strengen Kälte und dem Zwang alter,<br />

starrer Formen allgemach unterliegt.<br />

Lückes Bemerkung über die die konservative Einstellung des Establishments der<br />

Georgia Augusta gegenüber den vielfältigen Bewegungen dieser Zeit, lässt erahnen,<br />

warum der romantische Student Ernst Schulze und seine jugendlichen Gesinnungsgenossen<br />

in diesem Generationenkonflikt unter dem Schirm ihrer Sozietät<br />

ein Leben und Studieren eigener Prägung zu entwickeln versuchten. 2444<br />

Die Sozietät war nicht nur ein Ort anspruchsvollen wissenschaftlichen Austausches,<br />

sie entwickelte auch Züge einer Lebensgemeinschaft. Eine Reihe von Sodalen<br />

bildeten zeitweise im Wagemannschen Hause eine Art Wohngemeinschaft, der<br />

auch Schulze angehörte. 2445 Obgleich Schulzes Dichtung nicht selten von empfindsamer<br />

Schwermut bestimmt ist, war er kein Kind von Traurigkeit. Wie die<br />

meisten Sodalen war er ein tüchtiger Wanderer. Von seiner Naturverbundenheit<br />

zeugen die Titel vieler Gedichte. So zog es ihn oft auf die Gleichen […], ein andermal zur<br />

Kitzkammer am Meißner mit ihren merkwürdigen Basaltbildungen […], und er dichtete unterwegs,<br />

so z. B. „Im Walde hinter Falkenhagen“ und „Auf dem Berge vor Hohlungen“ – beides<br />

am 22. 7. 1814 – oder „Auf der Bruck“ am 25. 7. 1814, also jenem Göttinger Wanderziel<br />

zwischen dem Södderich und der Mackenröder Spitze mit dem weiten Ausblick über den Seeburger<br />

See bis zum Harz und der Porta Eichsfeldica. Dann wieder heißt es einmal: „Tychsens<br />

luden mich ein, mit nach B.’s Schenke zu fahren“, womit die Blaubachschenke bei Reinhausen<br />

gemeint ist, und Schulze erinnert sich dabei, daß er früher „fast wöchentlich jenen Ort besuchte. –<br />

Ich hatte damals eine herrliche Anlage zur Liederlichkeit“. 2446<br />

Wie Karl Lachmann war Schulze einer der eifrigsten Beiträger zu den Diskussionen<br />

der Sodalen, denn neben der Beschäftigung mit der klassischen, der deutschen<br />

und der fremdländischen Literatur zählte auch das Dichten für den Hausgebrauch<br />

zu den bevorzugten Aktivitäten der Gesellschaft. Schulze fand unter den Mitgliedern<br />

der Sozietät begeisterte Zuhörer. Bunsens Sohn hat später berichtet, dass<br />

2443 Rudolph (wie Anm. 41), S. 76.<br />

2444 Weitere kritische Stimmen vgl. oben Anm. 44 und Seite 470 bzw. Seite 488.<br />

2445 Rudolph (wie Anm. 41), S. 69. – Schulze wechselte mindestens siebenmal sein Quartier in Göt-<br />

tingen (ebd. S. 72).<br />

2446 Rudolph (wie Anm. 41), S. 71.

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