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Johannes Tütken - SUB Göttingen - GWDG

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währte seinem neuen Gesellen einen Wochenlohn und freie Station. Sein Lehrherr<br />

beschäftigte sich aber hauptsächlich mit der Brauerei, wobei ihm Focke ebenfalls<br />

zur Hand gehen musste, denn die Friseur-Profession war in <strong>Göttingen</strong> sehr gesunken.<br />

Nach eigener Aussage war Focke der erste Friseur, der in <strong>Göttingen</strong> Zopf<br />

und Locken abschnitt, Puder und Nadeln entfernte und natürliche Frisuren<br />

schnitt, die er auf Wunsch auch kräuselte [S. 14]. Es ist allerdings fraglich, ob der<br />

Wandel in der Haarmode eine Entscheidung der Göttinger Friseure oder eine der<br />

frisierten Köpfe war. Der Philosophieprofessor Johann Georg Feder entschloss<br />

sich jedenfalls schon im Frühjahr 1793 seine Perücke abzulegen und nur sein geschnittenes<br />

Haar zu tragen. 1877 Letztendlich sind auch J. J. Rousseau und die Französische<br />

Revolution ins Auge zu fassen, wenn es den Wandel in der Haarmode zu<br />

erklären gilt.<br />

Der Friseur Focke wurde von älteren Studenten an neu hinzukommende weiter<br />

empfohlen, und er hatte deshalb bald einen großen Kundenkreis. Da zu jener Zeit<br />

die Friseure ihre Kunden zu Hause aufsuchten, machte Focke sich sommers und<br />

winters bereits um vier Uhr morgens auf den Weg. Wenn die Barbiere sich durch<br />

die Stadt bewegten, fielen sie durch ihre Berufsutensilien auf: eine Tasche und eine<br />

zinnerne Flasche. 1878 Manche Studenten musste Focke zunächst wecken, und falls<br />

sie nicht rasch aus dem Bett kamen, vertrieb er sich derweil die Zeit, indem er in<br />

ihren Büchern las. Manche gaben ihm auch öfter wissenschaftliche Bücher zum<br />

Lesen mit. Dabei fühlte sich Focke besonders von der Mathematik angesprochen.<br />

Ich trieb nun Dreierlei: Profession, Brauerei und Wissenschaft. Um Zeit für sein Selbststudium<br />

zu gewinnen, ging er abends bereits um sieben Uhr zu Bett, um morgens<br />

zwei Uhr – oder spätestens um drei Uhr – zum Studieren aufzustehen. Nachmittags<br />

war er in der Regel mit dem Brauen beschäftigt. Um für das Selbststudium die<br />

fehlenden Grundlagen zu legen, fing Focke an, im Schreiben, Rechnen, in der<br />

deutschen Sprache und im Lateinischen Privatstunden zu nehmen, denn ihm fehlten<br />

die Elementaria der Schulbildung. Der ehrwürdige Prediger Gräve [= Gräffe Nr. 1]<br />

bestärkte ihn, sich mit der Algebra zu beschäftigen (Wer weiß, was der liebe Gott mit<br />

Ihnen vorhat, mein Sohn!). Nach dem patriarchalischen Verständnis seines Berufsstandes<br />

waren für Gräffe die Mitglieder der Gemeinde seine Pfarrkinder, seine<br />

Söhne und Töchter. Focke wechselte darauf zu einem kompetenteren Rechenmeister,<br />

der ihn in Algebra und Geometrie unterrichtete. Da dieser für 16 Stunden<br />

eine Pistole forderte, kam Focke an seine finanziellen Grenzen. Ein Student erbot<br />

sich, ihm Eulers Algebra zum Selbststudium anzuschaffen, worauf Focke nach<br />

1877 Selle: Universität (wie Anm. 60), S. 203. – An der Universität Freiburg wurde 1782 den Lehrenden<br />

Perückenzwang verordnet und verboten, mit fliegenden Haaren zu lehren [Speck (wie Anm. 326),<br />

S. 64]. – Professor Sartorius ließ sich 1806 von seinem Freund Goethe zu Einzelheiten seines Auftritts<br />

am Weimarer Hof beraten: Dabey habe ich leider abgeschnittenes Haar, doch läßt sich zur Noth ein Zopf<br />

oder Haarbeutel anbringen [Monroy (wie Anm. 48), S. 54].<br />

1878 Zum Erscheinungsbild Göttinger Friseure hat Lichtenberg 1787 notiert: Der kleine Gardner […]<br />

sah die Barbierer mit der Tasche und der zinnernen Flasche laufen, da nun in London dieses Gewerbe gar nicht mit<br />

diesem Exterieur getrieben wird, so glaubte er, das seien Studenten, die ihre Hefte in der Tasche und in der Flasche<br />

vielleicht Tee oder so etwas mit sich trügen; ist das nicht schön! [Lichtenberg (wie Anm. 985), Bd. IV, S. 715].

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