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Johannes Tütken - SUB Göttingen - GWDG

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666<br />

Das A. B. C. lernt´ er über Erwartung schnell. Ich schrieb die deutschen und lateinischen<br />

Buchstaben an meine Stubenthür [S. 42] in Quadrätchen; ich sang sie mit einem<br />

Stabe zeigend ab, und ließ ihm wechselsweise zeigen.<br />

Auf einer Fahrt nach Sachsen, bei der Kirsten seinen Sohn mitnahm, besuchte er<br />

seine 67jährige „Mutter“, aber Kirsten suchte auch Professor Christian Daniel<br />

Beck auf. 1796 Er war Rektor der Universität Leipzig, auf der Großvater und Vater<br />

des jungen Gotthelf ihre wissenschaftliche Karriere begonnen hatten. Der befreundete<br />

Beck trug den Knaben im Alter von 1 ½ Jahren – bonae spei juvenis – in<br />

die Matrikel der Universität ein, wo das Göttinger Wunderkind verzeichnet ist:<br />

Kirsten Joh. Gotthelf Goettingen. S. dp. 15. VI. 1791. 1797<br />

Der junge Kirsten war von fröhlichem Naturell und stets gesund und munter. Er<br />

aß und trank immer mit Appetit und schlief etwa zehn bis elf Stunden am Tag.<br />

Seit Juni 1792 breitete sich in <strong>Göttingen</strong> und andern Orten die Blattern-Epidemie<br />

in einer Weise aus,<br />

daß eine solche Menge Kinder entweder hingeraft, oder des Gesichts, Gehörs, Verstandes<br />

und des Gebrauchs ihrer Glieder beraubt, daß diese Krankheit für eine partielle<br />

Pest gehalten werden konnte.<br />

Wir befinden uns in einem Jahrhundert, in dem noch jedes zweite Kind in jungen<br />

Jahren starb. Zwischen 1750 und 1759 waren in <strong>Göttingen</strong> 58,3 % der Toten<br />

Kinder unter 14 Jahren, und in Berlin waren 90 % der zwischen 1758 und 1774<br />

registrierten Pockentoten Kleinkinder. 1798 Die Abwehr dieser Krankheit durch eine<br />

mit Risiko behaftete Schutzimpfung war noch keine gängige Vorstellung und Praxis.<br />

Der einzige Sohn des Göttinger Naturwissenschaftler und Tiermediziners<br />

Professor J. Chr. P. Erxleben starb 1777 an den Präventions-Pocken, als der fortschrittliche<br />

Vater ihn impfen ließ. 1799 Auch der junge Gotthelf Kirsten wurde von<br />

der Pockenepidemie des Jahres 1792 erfasst. Die Blattern verschlossen ihm die Augen<br />

den 15. Jul. seitdem sah es keine irdischen Gegenstände mehr (S. 24). Das sehunfähige<br />

Kind wünschte, dass man ihm vorlas. Es lebte in diesem Zustand noch eine Woche:<br />

1796 ADB 2/1875, S. 210-212.- Vermutlich war dies jene Frau, die sich des elternlosen Kirsten nach<br />

dem Tod der leiblichen Mutter angenommen hatte.<br />

1797 Abdruck: Erler: Matrikel Leipzig (wie Anm. 1769), S. 197.<br />

1798 Meumann, Markus: Findelkinder, Waisenhäuser, Kindsmord. Unversorgte Kinder in der frühneuzeitlichen<br />

Gesellschaft. Ancien Régime Aufklärung und Revolution 29. München 1995, S. 349. –<br />

Pfister, Christian: Bevölkerungsgeschichte und historische Demographie 1500 – 1800. Enzyklopädie<br />

deutscher Geschichte 28. München 1994, S. 40 f.<br />

1799 Beaucamp (wie Anm. 2161), S. 37. – Auch von Heynes Kindern starben zwei an den Blattern,<br />

davon eines an den inoculierten [Heeren (wie Anm. 108), S. 167]. – Lorchen, die Tochter von Professor<br />

Achenwall, starb ebenfalls an dieser Krankheit [Pütter: Selbstbiographie (wie Anm. 936), Bd.<br />

I, S. 330]. – Zu den Behandlungsformen der Pocken in den Göttinger Kliniken der Zeit vgl. Kumsteller<br />

(wie Anm. 1080), S. 50-52.

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